Geschichten einer schwarzen Rose
Samstag, 5. November 2011
Fernweh - Kapitel 2
Sera erwachte am nächsten Morgen als Erste – wie üblich. Sie stand auf, zog sich um und verließ leise den Raum. Dann steuerte sie auf die Bäder zu, in denen sie sich um ihre Haare kümmerte und sich erneut duschte.
Danach ging sie in Hauptgebäude. Im Gegensatz zum Wohnhaus der Novizen war dieses Gebäude riesig und aus kaltem Stein. Die Gänge waren verzwickt, aber Sera fand sich mittlerweile zurecht, so dass sie ohne irgendwelche Probleme in die Mensa gelangte, in der schon das Frühstück serviert wurde. Es war ein großer Raum mit einer hohen Decke und vielen Tischen, die allesamt mit weißen Tischtüchern bedeckt waren. Überall fusselten Diener herum, die Tische deckten, Zutaten in die Küche brachten oder auch Speisen auftischten.
„Sera!“, rief eine weibliche Stimme links von Sera.
Sie wandte den Kopf in die Richtung erblickte Rose, eine Dienerin, die ihr wie wild zu winkte und vor einem freien Tisch stand.
„Rose! Guten Morgen“, sagte Sera und ging auf sie zu. Sera hatte nicht viele Freunde unter den Schülern. Für sie war sie nur das Gossen-Kind. Doch mit den Dienern verstand sie sich gut. Für sie war sie eine Heldin, die zeigte, dass auch Leute aus ärmeren Verhältnissen es weit bringen konnten. Sera gefiel das nicht wirklich und sie hatte versucht den Dienern zu erklären, dass das nichts mit Heldentum zu tun hatte, doch sie hatten ihr nicht zugehört.
Rose hatte sich deswegen mit der Zeit zu Seras bester Freundin gemausert. Sie war ein gutherziges Mädchen mit kurzen, dunkelbraunen Haaren, das sogar im simplen Dienstmädchenkostüm gut aussah. Vom Charakter her war sie aber eher schüchtern und traute sich vieles nicht. So hatte sie zum Beispiel Probleme damit, mit anderen Novizen als mit Sera zu sprechen, da sie immer rot anlief und anfing zu stammeln. Wenn jemand Sera gefragt hätte, wer den Titel einer Prinzessin verdiente, hätte sie mit Rose geantwortet. Sie musste dieses einfache, schüchterne und rein Mädchen um jeden Preis von Menschen wie Riven fernhalten.
„Setz dich Sera, heute hab ich was besonderes für dich!“, befahl ihr Rose und drückte sie auf einen Stuhl.
Verwundert blickte Sera sie an – was konnte sie nur meinen?
Rose lief schnell weg und Sera fragte sich, was sie jetzt wohl vorhatte.
Na ja, was konnte Sera jetzt schon großartig machen? Seufzend schenkte sie sich ein glas Wasser ein und betrachtete den reichlich gedeckten Tisch. Silberwaren, -Löffel und -Gabeln, Teller und Schüsseln aus Porzellan und mehrere Blumenvasen mit Pflanzen, die Sera nicht einmal kannte.
Wie verschwenderisch das doch alles war! Wieso musste hier alles so edel sein? Man hätte so viel Geld sparen können, hätte man sich allein schon mit normalen Blumen begnügt, nicht an das Porzellan und Silber zu denken! Man hätte mit diesem Geld so vielen Menschen helfen können – und was tat man damit? Man ermöglichte den Kindern der Reichen ein sinnlos luxuriöses Leben, nur damit sie sich wohl fühlten.
Während Sera so darüber nachdachte, wie viele Menschenleben diese Gabel in ihrer Hand wohl retten hätte können, kam Rose zurück.
„Schau! Das hab ich selbst gemacht, nur für dich!“, rief sie begeistert und hob den Deckel von dem Tablett, das sie gerade trug.
Dort thronte ein unglaublich lecker aussehender Pudding mit Schokosoße oben drauf.
„Danke!“, rief Sera erfreut aus. Sie hatte nicht viele Schwächen, aber eine Sache zählte um jeden Preis zu ihnen – Süßigkeiten.
„Danke, Rose, du bist die Beste!“, sagte Sera erneut, nachdem Rose den Pudding vor ihr abgestellt hatte und sie einen Bissen genommen hatte.
Rose lächelte sie strahlend an: „Ach, keine große Sache! Aber ich muss jetzt wieder weg. Genieß den Pudding!“
Mit diesen Worten ging Rose in dem Meer aus Dienern unter, während Sera mit einem unbeschreiblich glücklichen Ausdruck ihr Essen genoss.
„Hat schon wieder die Diener bestochen!“, hörte sie ein nicht sehr gut verdecktes Tuscheln neben sich.
Am Tisch links von Sera saß eine Gruppe Schüler die sie mit verächtlichen Blicken bedachten und sich über sie lustig machten. Sera war einfach schon immer das in eine reiche Familie adoptierte Gossen-Kind. Und ihre gute Beziehung zu den Dienern machte das Ganze nicht besser. Und seitdem ihre Adoptiv-Mutter schwer krank geworden war, gingen umso mehr Gerüchte um.
„Hat ihre Adoptivmutter krank gemacht, obwohl sie so gütig ihr gegenüber war!“, sagten die Leute.
Sera war von Madam Alore, einer reichen Frau, adoptiert worden, kurz nachdem ihr Mann verstorben war. Sie hatte Sera auf der Straße gefunden, wie sie mit sich selbst darüber gestritten hatte, ob sie einen Apfel stehlen sollte. Sie hatte damals kurz vor dem Hungertod gestanden, und dennoch hatte sie sich im Endeffekt nicht durchringen können, gegen ihre eigenen Moralvorstellungen zu verstoßen. Nachdem Madam Alore das gesehen hatte, beschloss sie, Sera aufzunehmen und sie in die Schule zu stecken.
Sera war ihr unendlich dankbar für alles was sie für sie getan hatte und seitdem sie im Heilerhaus lag, kam Sera sie so oft besuchen, wie sie es nur konnte.
Aber das interessierte die Leute nicht. Sie sahen Sera nur als kleinen, schmutzigen Virus der die angesehene Geschäftsfrau Madam Alore vergiftet hatte.
Hätte Madam Alore davon gehört, hätte sie wahrscheinlich allen, die das behaupteten, eine Ohrfeige verpasst, doch die Gerüchte erreichten sie nicht und Sera ließ das Ganze einfach über sich ergehen.
Seufzend erhob sich Sera. Ihr war der Appetit vergangen. Genervt verließ sie die Mensa und ging durch die großen, steinernen Flure auf ihr Klassenzimmer zu. Der Unterricht würde bald beginnen.
Als Sera das Klassenzimmer betrat hoben sich die Köpfe aller Schüler, die schon anwesend waren, wie von selbst an und senkten sich automatisch wieder, als sie erkannten, wer da gekommen war.
Der Raum war weiß gestrichen und hatte lauter Stühle und Tische in sich verteilt, die auf die Tafel und das Lehrerpult ausgerichtet waren.
Seufzend nahm Sera ihren Platz in der Letzten Reihe ein. Neben ihr saß niemand.
Bis der Unterricht begann würden die meisten Schüler noch auf den Tischen und Stühlen sitzen und sich ausgelassen über alles Mögliche unterhalten, von dem – zumindest nach Seras Meinung – wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte wahr war. Die Jungen gaben ununterbrochen ihre Geschichten von irgendwelchen Mädchen zum Besten, die sich erstunken und erlogen anhörten – wie pubertierende kleine Kinder. Die Mädchen dagegen kicherten und kreischten, während sie hinter dem Rücken der anderen übereinander lästerten und vorne so taten, als wären sie beste Freunde. Das Alles war für Sera viel zu hinterhältig um mitzukommen – und die wenigen Mädchen, die begriffen, dass es falsch war, sich so zu verhalten, maulten und meckerten nur deswegen rum, machten aber dennoch mit ohne irgendetwas zu unternehmen. Heuchler.
Plötzliche verstummte der ganze Raum. Sera blickte auf – da war Meister Conites. Er betrat den Raum und alle standen auf der Stelle auf und sagten zusammen: „Guten Morgen, Meister Conites!“
„Setzt euch“, gab er zur Antwort und alle ließen sich auf ihre Hintern plumpsen.
„Heute wird unserem Unterricht ein Schüler der „Akademie“ einer anderen magischen Schule, die sehr gute Verbindungen zu der unseren hat, beiwohnen. Er ist, obwohl er so alt ist wie ihr, schon ein vollständig ausgebildeter Magier, da in seiner Familie große Kräfte, die sich schon früher entwickeln, weitergegeben werden. Er ist zu Besuch an unserer Schule, da er eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat und nimmt nur am Unterricht teil, da dies sein eigener Wunsch war. Also verhaltet euch ihm gegenüber angemessen!“, befahl Meister Conites.
Oh Gott, bitte nicht, dachte Sera und blickte wie alle anderen Schüler in Richtung Tür.
„Dies ist Lord Riven Nalishian“, stellte Conites Riven, der unterdessen durch die Tür geschritten war, vor.
„Hallo. Ich bin erfreut, euch kennen zu lernen“, sagte Riven und schenkte der Klasse ein Lächeln, das sich stark von dem vom Vortag unterschied. Es war falsch – das merkte Sera sofort.
Sie merkte auch, dass ein begeistertes Raunen durch die Reihen der Mädchen lief – war er wirklich so gut aussehend?
Sie betrachtete ihn noch einmal eingehend – sicher, diese Augen schienen einen magisch Bann auszustrahlen, und sein Haare weckten in ihr den Wunsch, sie zu verwuscheln, aber sie hatte sich nie groß um äußerliche Werte gekümmert, weswegen sie seine Attraktivität auch jetzt kalt ließ.
„Setzt euch, wohin ihr wollt, Lord Nalishian“, sagte Conites unterwürfig und Riven nickte ihm zu.
Dann schritt er bestimmt durch die Reihen aus Tischen und ließ sich neben Sera fallen.
Sie hatte das Gefühl als würden sie hunderte von Blicken durchbohren. Es waren so viele Plätze frei und Riven suchte sich ausgerechnet den neben ihr aus – da konnte sich jeder irgendetwas denken. Verschämt senkte Sera den Kopf und hoffte, dass sich die anderen bald abwenden würden. Das taten sie auch, denn sobald Riven sich gesetzt hatte, begann Conites den Unterricht und alle mussten aufpassen.
Das hätte Sera auch gerne getan, nur verhinderte Riven das sehr geschickt.
„Guten Morgen, Prinzessin“, flüsterte er ihr ins Ohr, nachdem er sich zu ihr herübergebeugt hatte.
Mit der linken Hand packte Sera ihn am Kinn und drückte ihn von sich weg, doch er entging ihrem Griff geschickt und nahm stattdessen ihre Hand in seine.
„Du kommst also von einer anderen Schule?“, fragte Sera ihn. Gegen dieses „Prinzessin“ konnte sie wohl nichts mehr tun.
„Ja, das tue ich. Und ich bin wegen den Zwillingen hier, wenn es Euch interessiert“, sagte Riven und führte Seras Hand, mit der sie ihn bisher weggedrückt hatte, einfach zur Seite um sich ihr wieder zu nähern.
Sera konnte es nicht mehr ertragen – sie lief so rot an wie eine Tomate und versuchte ihren Kopf abzuwenden.
„Warum seht Ihr mich nicht an, Prinzessin?“, fragte Riven.
Sera fiel keine passende Antwort ein.
„Hör auf mit dem „Ihr“! Wenn du mich schon Prinzessin nennen musst, dann duz mich wenigstens – ich fühle mich unwohl!“, sagte sie stattdessen um das Thema zu wechseln. Vielleicht würde er so auch aufhören, sie Prinzessin zu nennen.
„Wie du wünschst, Prinzessin!“, gab er nur zur Antwort und lächelte – aber dieses Mal war es ein ehrliches Lächeln. Sera widerstand dem verlangen zurück zu lächeln – warum machte es sie so verdammt glücklich, dass er aufrichtig lächelte?
„Seraphina, passt du auf?!“, rief Conites nach hinten, als er bemerkte, dass Sera die Tafel nicht einmal ansah.
„Ah, verzeihen Sie Meister Conites!“, antwortete Sera überrascht. Sie hatte vergessen, dass sie sich im Unterricht befand.
„Oh, was ich beinahe vergessen hätte: Seraphina geh bitte nach dem Unterricht zum Büro des Direktors“, fiel es Conites plötzlich wieder ein und er drehte sich einfach wieder zur Tafel um – er war im Moment wirklich zerstreut.
Sera wurde blass. Sie hatte doch nach dem Unterricht ihre Mutter besuchen wollen. Oder wollte ihr der Direktor vielleicht etwas über ihre Mutter sagen? Es konnte unmöglich um ihr Training gehen – der Direktor hatte sie deswegen noch nie in sein Büro gerufen. Um es genau zu nehmen, war sie überhaupt noch nie auch nur dort gewesen. Was war mit ihrer Mutter? Sie war doch nicht etwa gestorben? Oder ging es um etwas anderes… ihr fiel nichts ein, außer die Möglichkeit, dass ihre Mutter gestorben war und ihr jetzt mitgeteilt werden würde, dass sie aus der Schule fliegen würde, da niemand mehr ihre Ausbildung bezahlen würde und man ihre Kräfte versiegeln müsste.
Leichenblass blickte Sera auf den Tisch. Das musste es sein.
Tränen stiegen ihr in die Augen und sie musste schniefen um sie zurück zu halten.
Plötzlich aber wischte eine andere Hand als ihre ihr die Tränen aus den Augen und ein warmer Arm legte sich um ihren Rücken.
„Weine nicht, Prinzessin. Es ist nicht so, wie du denkst. Es gibt keinen Grund so traurig sein“, flüsterte ihr Riven zu.
Sera blickte auf und sah direkt in seine warmen Augen.
Woher kam dieses plötzliche Verlangen, sich an seine Brust zu werfen und erbarmungslos zu weinen? Ganz egal, Sera widerstand auch dem und wischte sich die anstauenden Tränen selbst aus den Augen.
„Was redest du? Wer weint hier?“, sagte sie so überlegen wie nur möglich und Riven musste kichern.
„Schon gut, Prinzessin“, gab er zur Antwort und wandte sich lächelnd ab.
Auch Sera wandte sich nach vorne. Wieso hatten Rivens Worte es tatsächlich geschafft, dass sie nicht weinte? Wieso vertraute sie ihm? Aber er hatte Recht – es konnte alles Mögliche sein! Es musste nicht einmal um ihre Mutter gehen!
Mit diesem Gedanken ertrug Sera den Rest des stinklangweiligen Unterrichtes und zu ihrer Freude näherte Riven sich ihr nicht mehr unerwünscht.
Als der Unterricht dann endlich vorbei war und Conites alle Schüler entließ stürzte Sera gerade zu auf dem Klassenzimmer und rannte in Richtung des Büros des Direktors.
Es lag am Höchsten Punkt der ganzen Schule und Sera musste Treppe um Treppe nach oben rennen, um sich dem Büro auch nur zu nähern.
Als sie schließlich ganz oben ankam, bog sie nur noch ein paar Mal ab, bis sie vor einer überdimensionalen Tür stand, deren goldene Griffe die Form von Engeln hatten.
Seufzend holte sie noch einmal Luft, um sich innerlich auf das vorzubereiten, was sie jetzt erwartete.
Schließlich klopfte sie an.
„Herein!“, tönte ihr die Stimme des Direktors entgegen und sie öffnete die Tür.
Das Büro war ein sechseckiger Raum, der eine Wand, um es genau zunehmen die am der Tür gegenüberliegenden Ende, besaß, die nur aus Fenstern bestand. Vor eben dieser Wand stand der Schreibtisch des Direktors, der erstaunlich sauber und ordentlich war – statt den Papierstapeln, die ich erwartet hatte, thronten hier nur ordentlich aufgeräumte Stifte, Schreibfedern und Tintenfässer.
Vor diesem Schreibtisch standen mehrere Stühle. Und hinter dem Schreibtisch stand ein einziger, großer Stuhl aus Ebenholz. Auf ihm saß, in seiner schwarzen Robe der Direktor.
Was Sera aber viel mehr verwunderte, waren die Leute, die auf zweien der Stühle vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte. Conites und Riven. Wie waren die beiden so schnell hierher gekommen? Wahrscheinlich gab es irgendeine Abkürzung.
Als Riven seinen Kopf zu ihr wandte und sie anlächelte war es ihr regelrecht peinlich, dass sie nicht mit ihnen mitgegangen war und sie lief – schon wieder – rot an.
„Sera! Schön, dass du da bist, ich habe dir etwas Wichtiges zu erzählen!“, rief Sera der Direktor mit seiner tiefen und freundlich Stimme zu, „Setz dich doch!“
„Ja, Direktor Ralion“, gab Sera brav zur Antwort und setzte sich auf den Stuhl neben Riven, da er als einziger frei war.
„Was wollten sie mir denn nun wichtiges erzählen?“, fragte Sera, nachdem sie saß.
„Also, zu erst einmal Sera: Es tut mir leid, dass ich dich davon abhalte, deine Mutter zu besuchen, natürlich kannst du gehen, sobald wir hier fertig sind“, entschuldigte sich der Direktor bei Sera.
Oh Gott sei Dank, war alles, das Sera in dieser Sekunde dachte.
Es ging nicht um ihre Mutter. Sie lebte noch. Aber weswegen war sie dann hier?
„Sera, du bist heute hier, weil du eine wichtige Entscheidung treffen musst. Und das schon bis morgen“, erklärte der Direktor mit ernster Stimme und Sera musste schlucken. Was für eine Entscheidung er wohl meinte?
Riven neben ihr lächelte sie verständnisvoll an, während sie ihren Blick starr auf den Direktor gerichtet hielt.
„Zu erst einmal – du weißt wer Riven hier ist, oder?“, fragte der Direktor und sah Riven an, der plötzlich wieder ernst wirkte.
„Er hält den Titel „Lord Nalishian“ inne und kommt von der „Akademie“, einer anderen magischen Schule. Er ist nur zu Besuch hier und hatte irgendeine wichtige Aufgabe zu erfüllen“, spulte Sera automatisch die Informationen, die sie von Conites erhalten hatte herunter, hängte aber noch etwas daran, „Außerdem sagt er, er sei der Bodyguard von Kanon und Karm, zwei Zwillingen.“
Der Direktor fing lauthals an zu lachen.
„Ja, das passt zu dir, dich so zu beschreiben, Riven!“, brüllte er regelrecht und Riven antwortete mit diesem ekelhaften falschen Lächeln.
„Ich fand es erklärte die Situation recht angemessen.“
Jetzt hörte der Direktor auf zu lachen und sah wieder ernst in die Runde.
„Weißt du, wer Kanon und Karm sind?“, fragte er Sera jetzt.
„Nein“, antwortete sie ehrlich.
„Kanon und Karm sind meine Söhne“, sagte der Direktor todernst.
Seine Söhne?! Sera konnte es nicht glauben – sie hatte immer gedacht, der Direktor wäre kinderlos. Obwohl – eigentlich hatte er sehr väterliche Eigenschaften, so verständnisvoll und fürsorglich wie er war.
„Dann muss sich also Riven um ihre Söhne kümmern… Wieso eigentlich? Er ist doch ein Lord, wieso muss er den Babysitter spielen?“, fragte Sera, zugegebener maßen etwas unhöflich, doch der Direktor fing bei dieser Ausdrucksweise nur wieder an zu lachen.
Hallend schallte sein „Haha!“ von den mit Bücherregalen bedeckten Wänden des Büros wieder.
Auch Rivens Mundwinkel zuckten, und als Sera das sah, lief sie erneut rot an – war das wirklich so lächerlich gewesen?
Zumindest lachte Conites nicht. Er blickte als einziger ziemlich genervt in die Runde, als könnte er dieses ganze Theater nicht mehr ertragen.
Als sich der Direktor schließlich wieder gefangen hatte und sich die Tränen aus den Augen wischen musste, war Sera puderrot und wünschte sich aus tiefstem Herzen, im Boden zu versinken.
„Sera, hast du schon mal vom „Begrüßungslauf“ gehört?“, fragte der Direktor sie schließlich.
„Nein“, antwortete sie.
Langsam hatte Sera genug – warum stellte der Direktor nur Fragen, anstatt ihr endlich zu erklären, was sie hier sollte?
„Weißt du, wie der nächste Direktor bestimmt wird?“, wollte der Direktor feststellen, wie viel Sera wusste.
„Nein.“
„Gut. Dann habe ich dir viel zu erklären“, meinte der Direktor grinsend und Sera seufzte erleichtert.
„Der Direktor wird nach Abstammung bestimmt – das heißt, dass mein direkter ältester Nachfahre der nächste Direktor werden wird. Allerdings sind meine ältesten direkten Nachfahren Zwillinge, also gleich alt. Verstehst du, was ich meine“, versicherte sich der Direktor noch einmal.
„Ja, ich denke schon. Irgendwie muss jetzt entschieden werden, wer der nächste Direktor wird“, antwortete Sera nachdenklich. Bis hierhin wusste sie allerdings noch immer nicht, was sie denn mit der ganzen Sache zu tun hatte.
„Und um zum Begrüßungslauf zu kommen: Als 5-Jähriger muss jeder zukünftige Direktor, ohne den amtierenden Direktor natürlich, auf eine Reise gehen um alle Rassen und Völker dieser Welt zu besuchen, sich vorzustellen und ihre Zustimmung für seine Übernahme des Postens zu erhalten. Die Zwillinge sind vor wenigen Tagen 5 geworden, und der Streit darum, wer jetzt Direktor werden soll, ist endgültig zwischen vielen Königen, Herrschern und reichen Bürgern entbrannt. Um einen Krieg, der sich zweifellos anbahnt, da die Schule Schüler aus jedem Land hat und es folglich jeden etwas angeht, zu vermeiden haben ich und meine Frau beschlossen, beide auf die Reise zu schicken, wobei der Begrüßungslauf zu einer Art Abstimmung werden soll – jede Reisestation hat eine Stimme, die sie entweder für Kanon oder Karm einsetzen müssen. Enthaltungen gibt es nicht. Begreifst du?“, fragte der Direktor Sera so ernst, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte.
„Ja und – es tut mir leid wenn sie mich jetzt für unverschämt halten – es tut mir leid. Es tut mir so leid für sie“, sagte Sera und versuchte ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, „es muss unendlich schwer sein, seine 5-Jährigen Kinder auf eine Reise zu schicken, auf der man sie nicht begleiten kann. Geschweige denn, das selbst als Kind ertragen zu müssen. Ich wusste nie, dass das Amt des Direktors solchen Horror mit sich bringt.“
Sera kümmerte sich nicht darum, dass sie den angesehensten Posten der Welt gerade beschimpft hatte – sie merkte es nicht einmal. Sie hatte die Wahrheit gesagt. Allein die Vorstellung daran, wie sich der Direktor fühlen musste versetzte ihr einen Stich ins Herz.
Als ihr dann der Gedanke an den armen Kanon und Karm kam, war Sera den Tränen nahe.
Melancholisch lächelte Riven sie an und schien einerseits genauso traurig wie sie und andererseits sehr zufrieden zu sein.
Auch der Direktor bedachte Sera mit einem traurigen Lächeln.
„Wie von dir erwartet“, murmelte er, allerdings hörte ihn Sera nicht.
Stattdessen schluckte sie ihre Tränen herunter und sah den Direktor ernst an. Sie wollte, dass er seine Erklärung beendete, und er verstand.
„Natürlich kann man 5-Jährige nicht allein auf eine solche Reise schicken, denn du weist bestimmt wie gefährlich die Welt da draußen für kleine Magier ist. Und deswegen begleitet sie jedes Mal einige Personen dazu gehört immer ein Abkömmling der Familie Nalishian. Weist du was an ihrer Familie so besonders?“, stellte der Direktor schon wieder eine Frage.
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Sera und warf Riven einen Blick zu – dass sie Perverse sind, vielleicht?
„Das kann dir dann wahrscheinlich Riven hier am Besten erklären“, meinte der Direktor und überlies Riven mit einer Handbewegung das Wort.
Riven lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Dann grinste er Sera an: „Nun ja, Prinzessin, meine Familie ist eine Mischungen. Niemand weiß genau in welcher Reihenfolge, ob es Absicht war oder reine Zufälle, aber über Generationen hinweg ist zu meiner Familie aus jeder Art und Rasse mindestens einer hinzu gekommen – zu meinen Vorfahren gehören Zwerge, Riesen, Feen, Elfen, Kobolde, Trolle, Mare, Vampire, Wolfsmenschen und natürlich Menschen. Deswegen gilt unsere Familie als besonders und wird oft dazu gezwungen, an irgendwelchen Zeremonien teilzunehmen, als Zeichen für die Freundschaft zwischen allen Völkern. Der Begrüßungslauf gehört dazu. Und da außerdem sowohl von der „Akademie“ als auch von der „Schule“ ein Abgesandter als Begleitung beim Begrüßungslauf dienen muss, wurde dieses Mal einfach ich als beides benutzt – Abkömmling der Nalishians und Schüler der „Akademie“.“
Er war… kein Mensch? Sera wurde klar, dass sie ihn die ganze Zeit über für einen Menschen gehalten hatte. Er hatte aber auch keinerlei Ähnlichkeit mit irgendetwas anderem.
„Ah, deshalb kann ich deine Präsenz nicht spüren!“, rief Sera plötzlich erfreut aus und schlug mit der rechten Faust in ihre linke geöffnete Hand, „Weil du einer mir fremden Rasse angehörst!“
Endlich verstand Sera etwas!
Alle blickten sie verwundert an – Sera hatte noch nie mit jemanden über ihre Fähigkeit gesprochen, weswegen weder ihr Lehrer noch der Direktor darüber Bescheid wussten. Riven lächelte entspannt – ob er alles verstand? Nein. Da war noch etwas anderes in seinem Blick – Erleichterung?
„Was meinst du, Seraphina?“, fragte Conites verwundert.
Verschämt rieb sich Sera den Hinterkopf und versuchte sich möglichst in ihrem Stuhl zu verstecken, als sowohl der Direktor als auch Conites sie mit wachsamen Blicken musterten.
„Na ja, ich spüre die Präsenzen von den Menschen um mich herum. Es hat schon immer funktioniert, auch bei Feen und Zwergen. Andere Rassen habe ich noch nicht getroffen. Aber bei Riven hat es nicht geklappt, was mich sehr gewundert hat“, erklärte sie möglichst schnell und unkompliziert.
Der Direktor musterte sie mit einem ernsten Blick: „Wieso denkst du, dass es an seiner Rasse liegen könnte?“
„Weil es genauso war, als ich zum ersten Mal Zwerge und Feen traf. Ich konnte sie erst nach längerer Zeit spüren, aber dann konnte ich jeden ihrer Rasse spüren“, berichtete sie, „Ist das so außergewöhnlich?“
„Nein, eigentlich nicht. Ich habe es nur noch nie bei einem Schüler erlebt“, meinte der Direktor nachdenklich und rieb sich am Kinn.
„Aber es kann schon vorkommen, oder?“, warf Conites ein und der Direktor nickte.
„Ähm… könnten wir dann wieder zum Thema kommen? Ich verstehe nämlich immer noch nicht, was ich mit der ganzen Geschichte zu tun habe“, wollte Sera schnell wieder zum eigentlichen Gespräch zurückkehren. Sie vertrug diese seltsame Stimmung nicht.
„Um es kurz zu machen – ich will dich bitten, als Abgesandte unserer Schule mit auf den Begrüßungslauf zu gehen“, erklärte der Direktor, jetzt wieder ganz ruhig.
„Mi- Mich?“, stammelte Sera überrascht. Wieso denn sie?
„Einerseits haben sowohl Kanon und Karm als auch Riven um dich gebeten und andererseits bist du eine exzellente Schülerin mit überdurchschnittlicher Begabung“, erklärte der Direktor.
„Wie lange dauert dieser Begrüßungslauf in etwa?“, fragte Sera todernst.
„Jahre. In meinem Fall waren es 5, aber man kann es zuvor nie wissen“, erklärte der Direktor genauso ernst, „schließlich muss man in jedem Ort für mehrere Monate bleiben, damit das Volk einen Eindruck des Anwärters bekommen kann und die Reisedauer ist auch nicht zu unterschätzen. Außerdem gibt es viele Reiseziele, die besucht werden müssen.“
Sera wurde blass – was sollte sie tun?
„Wer wird die Zwillinge noch begleiten?“, fragte sie.
„Nur ein paar Diener, die allerdings dieses Mal allesamt von der „Akademie“ zur Verfügung gestellt werden. Du kennst sie also nicht. Und der Hauptmann der königlichen Garde von Kisapei, zusammen mit einigen seiner Männer“, antwortete der Direktor.
Nachdem er diesen Satz beendet hatte, wurde Sera klar, dass sie die Wahl hatte – entweder sie ließ ihre Mutter für mehrere Jahre im Stich, oder aber sie ließ die Zwillinge alleine mit Riven, einem Soldaten und einem ihrer Mitschüler.
Als der Direktor sah, wie jede Farbe aus Seras Gesicht wich, hob er beschwichtigend die Hände.
„Du hast noch Zeit deine Entscheidung zu treffen – bis morgen. Komm bei Unterrichtsbeginn wieder hierher und teile mir deine Entscheidung mit. Wenn du dich dafür entscheidest mitzugehen war heute dein letzter Schultag hier. Bleibst du hier, fällt der unterricht für dich morgen dennoch aus“, erklärte er Sera und sah ihr in die Augen, „Ich kann verstehen, wenn du nicht willst.“
„Kann ich gehen?“, fragte Sera. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie hatte keinerlei Ahnung, was sie jetzt tun sollte.
„Ja. Geh ruhig“, antwortete der Direktor und wandte sich dann an Riven und Conites: „Ihr könnt auch gehen.“
Bis auf den Direktor, der begann in einer Schreibtischschublade nach etwas zu suchen, erhoben sich alle und verließen den Raum.
Sera wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Die Welt schien Kopf zu stehen.
„Prinzessin?“, fragte Riven neben ihr plötzlich. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Conites schon gegangen war und sie sich unbewusst gegen die Wand des Flures gelehnt hatte.
„Ich… weiß nicht was ich tun soll“, murmelte sie ihm verzweifelt zu. Wen kümmerte es, ob er ein Verrückter war? Bis jetzt hatte er ihr eigentlich nichts getan, außer sie in peinliche Situationen zu bringen.
„Du musst nicht, wenn du nicht willst“, sagte er und lehnte sich zu ihr hinüber, „aber du würdest mich sehr glücklich machen, wenn du mitkommen würdest.“
Wieder lief Sera rot an – in Rivens Gegenwart schien sie fast nichts anderes zu tun.
„Das hilft mir nicht!“, schrie die ihn auf einmal an, verpasste ihm einen gut gezielten Tritt in die Magengegend, durch den er an die gegenüberliegende Wand des Flures geschleudert wurde und rannte. Sie rannte so schnell wie sie noch nie gerannt war – und Sera war oft gerannt. Immer schneller zwang sie ihre Beine nach vorne. Sie wollte hier nur raus.
Sie stürmte aus dem Hauptgebäude und rannte ohne zu zögern über die Wege an mehreren Schülern und Magiern vorbei, die ihr verwunderte und missbilligende Blicke hinterher warfen, was Sera aber kalt ließ. Sie galoppierte gerade zu durch das Tor hinaus auf die Straße, stürzte durch die Straßen dieser so elend reichen Stadt, bis sie schließlich keuchend und erschöpft vor einem großen, weißen Gebäude um dass sich eine Mauer schlang und Platz für ein Stückchen Rasen im Vor und Hinterhof bot, stehen blieb. Das Heilerhaus.
Mit langsamen Schritt betrat sie das Haus und kam in eine mit Fließen ausgelegte Vorhalle, in der eine Empfangsdame hinter einem kleinen Tisch saß und ziemlich gelangweilt aussah.
Doch Sera sprach die – wie sie wusste – unhöfliche Frau gar nicht erst an. Sie ging an ihr vorbei den Flur entlang, zwei Mal die Treppen hoch und schließlich bog sie um ein paar Ecken bis sie davor stand. Vor dem Zimmer ihrer Mutter. Die Flure waren allesamt weiß gestrichen und die Tür, vor der Sera stand, war es auch.
Immer noch verwirrt, aber entschlossen ihre Mutter zu besuchen, klopfte sie endlich an.
„Herein!“, ertönte die, sogar in diesem geschwächten Zustand, noch immer herrische Stimme ihrer Mutter.
„Mutter“, sagte Sera während sie die Tür öffnete. Dort lag ihre Mutter. Sie war so schmal und mager wie immer und ihre dunkelbraunen Haare stachen auf dem schneeweißen Bettlaken stark hervor und ließen auch ihre Haut blasser wirken, als sie es in Wirklichkeit war. Bielleicht war sie auch wirklich so blass. Seitdem sie krank geworden war hatte sich soviel verändert.
Sera schloss die Tür hinter sich und blickte in die strengen Augen ihrer Mutter, fühlte ihre schwache aber immer noch ausstrahlende Präsenz.
„Was is…“, setzte Seras Mutter zu einer Frage an als Sera in Tränen ausbrach.
Schreiend und weinen warf sie sich auf das Bett ihrer Mutter und ging davor in die Knie, so dass nur noch ihre Kopf, den sie auf ihre verschränkten Arme gelegt hatte auf dem Bett lag.
„Was ist?“, beendete Seras Mutter ihren Satz und tätschelte Sera liebevoll den Kopf, „Komm schon, sag es mir.“
Und so fing Sera, in Tränen aufgelöst und unter hunderten von Schluchzern an von bemitleidenswerten Zwillingen, dem Begrüßungslauf, einem perversen Riven, einer Prinzessin, einer jahrelangen Reise und allen möglichen Rassen zu erzählen.
Es war erstaunlich, dass ihr Mutter überhaupt in der Lage war ein einziges Wort von Seras Geschluchze zu verstehen, aber sie begriff sogar was Sera eigentlich versuchte zu sagen.
Als sie endlich verstand blickte sie Sera mit geweiteten Augen an, nahm ihre linke Hand in die Höhe und schlug Sera mit der Faust direkt auf den Kopf. Sera schrie auf und hielt sich den Kopf, aber sie blickte auch auf und ihre Tränen stoppten für kurze Zeit.
„Was für ein dummes Kind du doch bist!“, beschwerte sich ihre Mutter lauthals bei Sera, „Das ist kein Grund zu weinen, das ist ein Grund einen Freudentanz aufzuführen!“
„Aber…aber, dann muss ich dich zurücklassen!“, schniefte Sera und wischte sich das Gesicht.
„Na und?! Meine Zeit ist sowieso vorbei! Begreifst du nicht?! Ich habe höchstens noch ein paar Wochen zu leben! Du wirst mich so oder so bald nicht mehr sehen können!“, schrie ihre Mutter.
Sera hätte gern eine Antwort gegeben, aber ihre Mutter kam ihr zuvor.
„Mein Leben ist vorbei! Ich habe es gelebt! Ich habe fremde Länder bereist, war die kälteste Geschäftsfrau der Welt, habe geliebt, geheiratet, getrauert, verloren, gelitten, gefreut, gestritten, entschieden, bereut, verwünscht! Aber du – du hast dein Leben nie gelebt! Immer tust du nur, was andere wollen! Tu das, was DU willst! Sei du selbst! Mache Reisen, lerne fremde Wesen kennen, entdecke die Welt! Finde heraus, was Liebe ist, von mir aus auch mit diesem Riven! Geh da raus und fang endlich an! Auch du hast nicht ewig Zeit! Eines Tages wirst du sterben, und ich möchte nicht, dass du an diesem Tag auch nur eine einzige deiner Entscheidungen bereust! Meine Zeit ist vorbei – schau du nach vorne und nicht zurück! Werde glücklich!“, schrie sie sie an und Sera stiegen wieder die Tränen in die Augen.
„Wein jetzt nicht! Du hast in deinem Leben mehr als genug Tränen verschüttet! Glaube mir, ich werde sterben, und daran gibt es keinen Zweifel! Mach dir keine falschen Hoffnungen, die dich nur noch mehr zum weinen bringen werden! Und wenn ich erst einmal tot und im Himmel bin, dann werde ich deiner verantwortungslosen Mutter sagen, was für ein großartiges Mädchen ihre Tochter doch ist!“, machte Seras Mutter immer weiter.
„Mutter…“, flüsterte Sera. Dann stand sie auf und umarmte ihre noch im Bett liegende Mutter. Bis dahin hatte die Frau nur geschrien und Sera Anweisungen erteilt, doch kaum legten sich Seras Arme um sie, brach auch sie in Tränen aus. Und so weinten sie gemeinsam, während sie sich in den Armen lagen.
Als Sera schließlich all ihre Tränen geweint hatte und keine neuen mehr nachkommen wollten, fasste sie einen Entschluss.
„Mutter, ich werde auf diese Reise gehen“, sagte sie bestimmt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht, während sie begann den Raum rückwärts zu verlassen, „und ich werde leben. Ich verspreche es dir.“
„Das ist die richtige Einstellung!“, unterstützte ihre Mutter sie, „Zeig es ihnen allen!“
Mit diesen Worten riss sie ihre Faust in die Luft um Sera anzufeuern.
Sera antworte mit der gleichen Geste: „Das werde ich. Auf Wiedersehen Mutter!“
Mit diesen Worten war sie an der Zimmertür angekommen und öffnete sie.
„Leb wohl, meine Tochter!“, rief ihre Mutter ihr, etwas melodramatisch hinterher.
Sera schloss die Tür hinter ich und brach auf der Stelle zusammen. Auch wenn sie es ihrer Mutter nicht sagen konnte, bis vor wenigen Minuten, hatte sie an eine Heilung geglaubt.
Stumme Tränen flossen ihr Gesicht herab. Ihre Mutter hätte sie auch durch Wände schluchzen hören. Sie würde sterben. Einfach sterben.
Auf einmal fühlte sich Sera so allein und verlassen. Sie wollte jemanden, an dem sie sich jetzt festhalten konnte. Jemand, der für sie da war.
„Prinzessin“, sagte Riven, als er plötzlich vor ihr stand. Wie kam er nur hierher? War er Sera gefolgt? Und wieso schaffte er es immer, so plötzlich aufzutauchen? Er beugte sich und streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.
„Riven…“, murmelte Sera, während sie noch am Boden saß.
„Wenn du mich schon Prinzessin nennen musst, dann übernimm jetzt Verantwortung“, schluchzte sie unsinniges Zeug, während sie ihm auf einmal in die Arme sprang.
Überrascht, aber nicht wütend erwiderte er ihre Umarmung und legte seine Arme um sie. Er stand einfach nur da, umarmte sie und nahm alles stumm hin.
Weinend vergrub sie ihren Kopf in seiner weichen Robe. Er war größer als sie, dass wurde ihr erst jetzt wirklich bewusst. Und er war schlank und dennoch stark. Er war so haltgebend. So sicher. Und seine Umarmung war so weich und trotzdem fest. So warm und so geborgen.
Sie klammerte sich an ihn so fest sie nur konnte und er strich ihr sanft über das lange Haar, während er sie an sich gedrückt hielt.
„Prinzessin… Es ist in Ordnung. Alles ist in Ordnung“, murmelte er ihr an die Stirn.
Und so blieben sie noch eine Weile stehen, bis Sera aufhörte zu weinen und selbst dann lösten sie sich nicht aus ihrer Umarmung.
Aber irgendwann hob sie dann schließlich ihren Kopf und sah ihm in die Augen, wie er da so fürsorglich auf sie herabsah und ihr über die Haare strich.
„Geht es wieder?“, fragte er sie mit einem sanften Ausdruck in seinen Augen.
Sera nickte zur Antwort, ließ ihn endlich los und ihr wurde klar, was sie soeben getan hatte. Sie hatte sich an Riven festgeklammert und ihn vollgeheult.
„Danke“, sagte sie zu ihm und sah ihm in die Augen, „danke, dass du mich getröstet hast. Und es tut mir leid, wenn ich dich genervt habe“.
„Für dich tue ich doch alles, Prinzessin“, antwortete Riven und lächelte sie ehrlich an, „außerdem war es, als würde ein Traum wahr werden, als du mich umarmt hast.“
Sera lief hochrot an – nicht schon wieder!
„Du hast mich in einem schwachen Moment erwischt – bilde dir bloß nichts drauf ein!“, wandte sie ihren Kopf ab als die beiden nebeneinander durch den Flur in Richtung Ausgang gingen.
Riven musste lächeln: „Natürlich nicht, Prinzessin.“
Sera hätte jetzt gerne geschmollt und ihn mit Schweigen bestraft, aber ihre Neugier übermannte sie: „Was tust du überhaupt hier? Woher wusstest du wo ich bin?“
„Du hast beinahe geweint als du weggerannt bist – wie hätte ich dich in diesem Zustand allein lassen können?“
Sera lief noch roter an – er war ihr den ganzen Weg bis ins Heilerhaus gefolgt? Sie hatte ihn geschlagen und war weggerannt und er kümmerte sich darum, wie sie sich fühlte?
„Wie sportlich bist du eigentlich, dass du mir so einfach hinterrennen kannst?“, murmelte sie mit hochrotem Kopf und abgewandten Gesicht, weil sie ihren Schlag nicht ansprechen wollte.
„Es geht“, gab Riven grinsend zur Antwort.
Und so verließen sie dann schließlich das Heilerhaus und gingen zur „Schule“ zurück – Riven lachend und Sera mit rotem Kopf.

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Fernweh - Kapitel 1
Sera hatte nicht vor gehabt so lange auf dem Markt zu bleiben. Sie hatte eigentlich schon nach wenigen Stunden zurück sein wollen, um durch ihre Überpünktlichkeit zu glänzen und alle zu beeindrucken, indem sie den ganzen Verlockungen der Stadt entsagte. Schließlich mussten ihr die Leute um sie herum, vor allem die Lehrer, vertrauen, sonst hatte sie keine Chance, bald ihre Mutter besuchen zu dürfen.
Verärgert eilte sie durch die Straßen der Stadt, in der Hoffnung, vielleicht doch noch vor den meisten Anderen anzukommen. Oder wenigstens rechtzeitig. Sie hatte sich auf dem Markt verloren, als all die bunten Stände um sie herum aufgetaucht waren und diese Leute in den albernen Aufmachungen ihr dies und das angeboten hatten. Doch wirklich angefangen ihre Zeit zu verschwenden hatte sie erst, als sie ein armes Kind, vermutlich ein Gossen-Kind, wie Seras Mitschüler sie nannten, entdeckt hatte. Das arme Ding hatte Lumpen getragen und war ganz abgemagert gewesen. Es hatte den Apfel, den Sera sich wenige Sekunden zuvor gekauft hatte mit sehnsüchtigen Augen angestarrt. Es hatte Sera an sie selbst erinnert, dieses hungrige Kind, dessen Geschlecht sie unter den Lumpen nicht hatte erkennen können. An sie, bevor ihre Mutter sie aufnahm und in die „Schule“ steckte. Sie hatte ihm den Apfel geben wollen. Doch kaum hatte sie eine Bewegung auf es zu gemacht, hatte es die Flucht ergriffen, in panischer Angst. Sie hatte den Apfel dann auf den Boden gelegt. Ihr war der Appetit vergangen. Sie wollte wirklich nicht wissen, was man schon mit diesem armen kleinen Kind gemacht hatte, dass eine einzige Bewegung von ihr es so erschreckte.
Seufzend beschleunigte Sera ihre Schritte. Langsam senkte sich ein tiefer Schatten über die Stadt und sie wollte auf keinen Fall von der Dunkelheit überrascht werden. Einerseits, weil sie dann großen Ärger bekommen würde, andererseits, hätte sie dann keinerlei Chance mehr ihre Mutter zu besuchen. Also besser schnell zurück zu den Wohneinrichtungen der „Schule“.
„Sieh mal, Karm, hier wachsen tolle Blumen!“, rief eine Kinderstimme durch die Stille des Abends.
Verwundert drehte Sera sich von der Straße weg und sah den leichten, mit Blumen und Gras überwachsenen Abhang neben ihr hinunter.
Dort unten spielten zwei kleine Jungen auf der Wiese. In ihren schneeweißen Roben sahen sie aus der Ferne wie zwei kleine Engel aus.
Sera schnappte laut nach Luft. Was machten zwei Jungen in weißen Roben hier? Sie müssten in der „Schule“ sein und üben! Nein, stattdessen brüllten sie hier herum und zeigten jedem, was sie waren!
Entsetzt blickte Sera sich um – waren schon irgendwo seltsame Gestalten in Sicht?
Um sie herum wirkte alles normal, doch sie konnte, ein paar Häuser weiter in einer schmalen Seitengasse, zwei Männer erspähen, die die Jungen verdächtig beäugten.
Sera kam es so vor, als befände sie sich in der schlimmstmöglichen Position. Sie hatte keine Ahnung was sie nun tun sollte. Es blieb keine Zeit, irgendjemanden zur Hilfe zu holen. Sie wusste nämlich sehr genau, was die beiden Männer mit den Jungen vorhatten. Sie wollten sie entführen und, für sehr viel Geld wahrscheinlich, an den Meistbietenden verkaufen. Denn auch wenn die beiden noch weiße Roben trugen hatten sie doch schon die ersten und, nach Seras Meinung, die schwersten und wichtigsten Schritte auf ihrem Weg zum Magier gemacht. Deshalb waren sie auch so einfache Opfer – sie besaßen schon Magie, was sie wertvoll machte, waren aber im Umgang damit noch so ungeübt, dass sie zu entführen kein großes Problem darstellte.
Sera wusste, dass es ihre Pflicht war zu handeln. Ihre Roben waren schon dunkelgrau. Jemand, der nicht genau hinsah, konnte es leicht für schwarz halten. Sie war stark genug die Männer schwer zu verletzen und zu vertreiben, doch dass würde ihr keine Pluspunkte einbringen. Sie hätte auch einfach weitergehen können und so tun, als hätte sie all das hier nicht gesehen. Das wäre wahrscheinlich der einfachste Weg, doch dann würde sie sich schlecht fühlen, weil es einfach falsch war. Sie musste etwas tun. Ihr kam eine Idee.
Plötzlich hustete sie laut und vernehmlich. Die Jungen schienen sie nicht zu bemerken, doch die Köpfe der beiden Männer fuhren wie Schnappschildkröten in die Höhe. Sera musste jetzt wirklich, wirklich cool wirken, was im Allgemeinen eigentlich nicht ihre Stärke war. Sie sah die Männer direkt an. Sie zuckten zusammen.
Aus der Ferne und im Dunkeln musste Sera wie eine voll ausgebildete Magierin erscheinen, die über ihre Schützlinge wachte. Die Männer taten einen Schritt zurück – sehr gut, Sera hatte sie fast – jetzt musste sie nur noch etwas Macht demonstrieren. Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es funktionieren möge. Dann stand sie aus dem nichts vor den beiden, wirklich übelriechenden Männern. Einer der beiden war so groß und mager, dass er als Vogelscheuche hätte durchgehen können. Der andere war kleiner, doch Sera bemerkte, das der Geruch von verfaulenden Zähnen von ihm ausging. Er zeigte sie ihr mit einem dümmlichen Lächeln. Sera hätte gern ihr Gesicht vor Abscheu verzogen – nicht weil ihre Erscheinung so abstoßend war, sondern weil sie ihr Vorhaben, zwei hilflosen Kindern wehzutun, so niederträchtig fand, dass sie sich hätte übergeben können. Doch das ging jetzt nicht. Stattdessen setzte sie ein möglichst kaltes und überlegenes Gesicht auf und blickte zwischen den Beiden hin und her. Sie machten ein paar Schritte zurück, doch noch rannten sie nicht. Sera würde noch einen drauf legen müssen.
„Geht, solange ich es euch noch erlaube“, sagte sie mit aller Autorität, die sie aufzubieten vermochte, was nun wirklich nicht viel war.
Doch die beiden Männer wurden starr vor Entsetzen und dann nahmen sie, endlich, die Beine in die Hand und rannten, als ginge es um ihr Leben.
Als sie um die nächste Ecke gebogen waren seufzte Sera erleichtert auf. Geht, solange ich es euch noch erlaube – von so etwas absolut übertrieben melodramatischen hatten sie sich einschüchtern lassen. Sera und die beiden Jungen hatten Glück gehabt. Es waren nur zwei Kleinkriminelle gewesen, die die Chance der Stunde nutzen wollten. Niemand von der Organisation.
„Hey, ihr beiden da!“, rief Sera. Jetzt hörte sie sich wieder wie die echte Sera an. Das gutherzige, selbstlose, sture und zugleich kluge Mädchen, das sein Leben lang alles getan hatte um zu überleben, bis ihre Mutter kam, und Sera sich ein neues Ziel setzen musste. Nämlich ihre Mutter glücklich zu machen. Sie klang wie ein Mensch, der sich nie etwas gefallen lies, und wenn es noch so unvernünftig war sich zu wehren. Sie klang wie ein Mensch, der nicht wusste, wann es Zeit war, an sich selbst zu denken. Sie klang wie ein Mensch, der stark war.
Dabei sah sie nicht wirklich so aus. Ihr Gesicht war herzförmig, ihre Augen dunkelgrün und ihre Lippen voll. Auch wenn Sera sich selbst ganz anders sah – sie hielt sich für dürr, verschroben und hässlich. Eigentlich war sie dünn und sportlich – sehr sportlich sogar. Sie hatte, seit sie klein war, Kampfsportarten trainiert und war stolz auf ihre Fähigkeiten, die allerdings von ihren Haaren behindert wurden. Seras Haare waren lang und blond – sie waren sogar so lang, dass sie sie sich zu einem langen Pferdeschwanz hochbinden musste, damit sie ihr nicht bis zur Hüfte reichten. So brav und gehorsam Sera auch war, hatte sie sich die Haare doch nicht den Schulregeln gemäß, schulterlang geschnitten. Ihr Haar war für sie ein wertvolles Erinnerungsstück, und wenn es sie noch so sehr beim Kampf hinderte. Und wenn es ihr noch so viel Energie, die sie eigentlich für das Zaubern benötigte, entzog. Denn es war Seras einzige Erinnerung an ihre wahre Mutter. Als sie kleiner war, sehr viel kleiner, so klein, dass sie sich kaum noch an diese Zeit erinnern konnte, war ihre Mutter schwer krank geworden. Ihr Vater war abgehauen, als Seras Mutter schwanger wurde und so hatte sie sich allein um sich selbst und ihr kleines Kind kümmern müssen. Sie hatte jeden Tag viele Stunden lang gearbeitet um Sera halbwegs anständige Lebensumstände zu ermöglichen. Und jeden Abend, wenn die beiden im Bett lagen, fuhr sie Sera durchs Haar und sagte:
„Schatz, du hast so schöne Haare. Sie sind weich und glänzend. Eines Tages werden dich alle für diese Haare beneiden. Bitte versprich mir, dass du sie dir nie abschneiden wirst. Und immer wenn du sie kämmst, musst du an mich denken, versprochen?
Sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, wenn sie so weitermachte. Aber es war ihr egal gewesen. Sie wollte Sera so lange bei sich behalten, wie es nur ging. Sie dachte nicht daran sie wegzugeben. Und immer wenn ihre neue Mutter das erwähnte und über Seras unvernünftige Mutter schimpfte, musste Sera sich auf die Lippen beißen, um die Stärke und den Mut ihrer echten Mutter nicht lauthals zu loben.
„Wer bist du?“, fragte sie einer der kleinen Jungen verwundert und etwas nervös. Vielleicht hatte ihm ja doch jemand erzählt, wie gefährlich es für ihn war sich einfach so draußen rumzutreiben.
„Ich bin Sera“, antwortete sie freundlich. Sera konnte gut mit Kindern umgehen – sie liebte sie und sie liebten Sera. Nun hob sie ihre Robe mit zwei Fingern an, „Siehst du? Ich bin von derselben Schule wie ihr.“
Der Junge schien sich etwas zu entspannen. Der andere hatte eben erst angefangen zuzuhören, und bekam gerade noch mit, dass Sera eine Schulkameradin war. Er schien sie deshalb für keine Gefahr zu halten und jagte fröhlich einem Schmetterling hinterher.
„Was tut ihr beiden denn hier?“, wollte Sera wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie die beiden kleinen Kinder aus der Schule hätten entkommen sollen.
„Ach, unser Bruder hat uns mit in die Stadt genommen und dann haben wir ihn verloren“, erzählte der Junge übermütig.
„Euer Bruder, wie? Wie alt ist er denn?“, fragte Sera neugierig. Sie musste wissen, ob es ein erwachsener Magier, vielleicht sogar ein Lehrer war, oder ein Schüler. Sie wusste, dass Kinder in Begleitung von Magiern, die stark genug waren, um sich zu verteidigen, die Schule hin und wieder verlassen durften. Sera hätte als solcher Magier gegolten, aber nur sehr knapp.
„Er ist 16“, antwortete der kleine Junge ohne zu zögern.
16?! Das war Seras Alter. Sie wusste, dass der Junge definitiv kein ausgebildeter Magier sein konnte, da die Ausbildung immer erst mit 17 abgeschlossen wurde, weil sich in diesem Alter die magischen Kräfte vollständig entwickelten.
„Ich bin auch 16“, sagte sie und lächelte den kleinen Jungen an, „Aber wollen wir nicht lieber zusammen zur Schule zurück gehen? Euer Bruder wird den Weg ja kennen und dann könnt ihr ihn da wieder treffen.“
Der kleine Junge zog seine Stirn in Falten und schien schwer nachzudenken, was schon ziemlich süß aussah.
„Wie heißt ihr überhaupt?“, fragte Sera um den jungen dazu zu bringen, ihr zu vertrauen.
„Ich bin Kanon und das ist Karm“, gab er zur Antwort und schien einen Entschluss zu fassen.
„Karm, wir gehen mit Sera zur Schule zurück“, sagte er bestimmt. Er war ganz offensichtlich mehr zum Anführer geboren als sein unvorsichtiger, aber sehr simple Bruder.
Als Karm angerannt kam und sich neben seinen Bruder stellte, fiel Sera auf, dass sie Zwillinge waren. Beide hatten braune Haare und Augen, glatte helle Haut und niedliche Stupsnasen. Nur ihr Gesichtsaustrug schien sie zu unterscheiden – Karm war fröhlich und gedankenlos, während Kanon ernster schien. Wenn sie älter waren würde man sie sehr einfach auseinander halten können.
„Hey, ich bin Sera“, stellte sich Sera Karm vor, da sie wusste, dass der Junge nicht aufgepasst hatte, „und du bist Karm, stimmt's?“
„Ja, stimmt“, antwortete der Junge mit einem fröhlichen Lächeln und begann um sie herum hüpfen: „Wo ist denn Riven?“
„Riven? Ist das euer Bruder?“, fragte Sera und Kanon nickte.
„Der ist wahrscheinlich im Moment auf der Suche nach euch. Aber wenn er euch nicht finden kann, wird er bestimmt zur Schule zurück kommen, um euch als vermisst zu melden und dann seit ihr schon wieder da, okay?“, erklärte Sera sanft und die Jungen schienen zu verstehen.
„Dann lasst uns gehen“, fügte sie hinzu, stellte sich gerade hin und wollte gerade einen Schritt nach vorne machen, als die beiden Jungen, zu ihrer großen Überraschung, ihre Hände ergriffen – an jeder Seite einer.
Als die kleinen Hände sanft, schüchtern und ängstlich ihre ergriffen, wurde Sera klar, dass die beiden sich schrecklich gefürchtet haben mussten. Sie waren schließlich ganz allein gewesen.
Zärtlich erwiderte sie den Händedruck und ging mit den beiden los.
Sera hatte sich zuvor den Hügel hinunter teleportiert, was bedeutete, dass sie jetzt einen etwas längeren Umweg nehmen mussten, da Sera nicht noch einmal unerlaubt Magie einsetzen wollte um sich mit den Jungen wieder hoch zu porten und ihnen andererseits nicht den Aufstieg zumuten konnte. Zu spät würden sie sowieso kommen – da zählten fünf Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr.
Und so gingen sie durch die Stadt, die mit schönen, mittelalterlichen, größtenteils weißen Häusern ausgestattet war. Die Straßen waren einfach und sauber, was bewies, dass der größte Anteil der Bürger sehr reich war. Natürlich lebten hier keine Gossen-Kinder.
Bestimmt schritt Sera aus, als sie sich der Schule näherten. Sie straffte ihre Schultern und machte sich bereit, ausgeschimpft zu werden.
Die Schule bestand aus einem großen, grauen Hauptgebäude, das sechs Stockwerke besaß und innen nach einem komplizierten, spiralförmigen System aufgebaut war, einem Garten und überhaupt sehr vielen Wiesen, einem Quartier für die Magier, in dem jeder vollständig ausgebildete Magier wohnen konnte, wenn er wollte, der Villa des Direktors der Schule, die im tiefsten Schwarz gestrichen war um zu zeigen, dass der Direktor der stärkste aller Magier war, dem Wohnhaus der Novizen, dass innerhalb nach Geschlechtern aufgetrennt war und dem Friedhof der Magier. Das Alles war von einer großen, magischen Mauer aus Stein umgeben, an der mehrere Kirschbäume wuchsen.
Es gab nur einen Eingang, ein breites, stählernes Tor, und auf genau dieses gingen Sera und die Zwillinge jetzt zu.
Sera hatte den ganzen Weg über immer darauf geachtet, ob sie irgendjemand beobachtete – Magier, die zwei schwache und hilflose Zwerge herumführten, die ihnen bei einem Kampf nur im Weg herum stehen würden, waren leichte Beute. Und die Tatsache, dass die Schule immer näher kam, machte die Situation keineswegs sicherer, nein, sogar gefährlicher, denn vor der Schule lungerten immer ein, zwei Menschenhändler herum.
Als Sera und die beiden Kinder kaum noch zwei Meter vom Tor entfernt waren, und Sera langsam anfing sich zu entspannen, blieb Karm urplötzlich stehen.
Auf das schlimmste gefasst wirbelte Sera herum, wobei sie Kanons Hand losließ um jegliche Art von Angreifer sofort mit einer körperlichen Attacke außer Gefecht setzen zu können.
Doch da war niemand.
„Riven!“, rief Karm und zeigte nach oben auf einen der Kirschbäumen.
Verwirrt blickte Sera auf den Baum. Dort lag auf einem besonders breiten Ast, nahe der Baumkrone, ein Junge. Er trug eine Robe, die schwärzer war als jede andere Robe, die ich je gesehen hatte – auch al die des Schulleiters. Außerdem hing um seinen Hals eine silberne Kette mit einem eigenartigen, schlüsselartigen Zeichen, die auf dem schwarzen Stoff sehr hervorstach. Eigentlich war es verboten seine Roben besonders auszuschmücken. Er hatte schwarze, wirre Haare, zarte Lippen und eine schöne Nase. Oder so empfand es Sera zumindest. Seine Augenfarbe konnte sie nicht erkennen, denn seine Augen waren geschlossen – er schlief.
Auf einmal kochte Wut in Sera auf – er schlief während seine kleinen Brüder hilf- und wehrlos in der Stadt herumliefen?
„HEY!“, schrie sie, um ihn aufzuwecken, möglichst so, dass er vom Baum fiel.
Doch der Junge schlug seelenruhig die Augen auf und blickte auf sie herab, wie sie dort unten neben seinen kleinen Brüdern die begeistert seinen Namen riefen die Hände zu Fäusten ballte und sich wünschte, ihm eine reinzuhauen.
„Kanon. Karm“, stellte der Junge ruhig fest, dann warf er Sera einen Blick zu und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Sie wollte ihm gerade zurufen, dass er gefälligst von diesem elenden Baum herunterkommen solle, als er sich von selbst herunter schwang – er umfasste den Ast auf dem er saß einfach mit einer Hand und im nu war er unten, und stand verdammt nah vor Sera. Er beugte sein Gesicht immer weiter auf sie zu, so dass sie ihren Kopf zurückziehen musste, und schließlich einen Schritt zurück macht. Seine Augen waren schwarz – so schwarz wie seine Robe.
„Hast du die beiden zurück gebracht?“, fragte er.
Sera lief rot. Sie war es nicht gewohnt, das Gesicht eines Jungen so nah vor ihrem zu haben.
Doch dann kam wieder ihr Selbstbewusstsein zum Vorschein.
„Ja – und du solltest deine Brüder nicht allein in der Stadt lassen – es ist gefährlich!“, antwortete sie, immer noch wütend.
„Sie sind nicht meine Brüder“, gab Riven zur Antwort, „aber ich muss trotzdem auf sie aufpassen. Also vielen Dank, Prinzessin.“
Mit diesen Worten nahm er ihre Hand in sein und küsste sie.
Ein Kuss auf die Hand? Er war nicht ihr Bruder? Prinzessin?
Sera war mehr als verwirrt, aber was sie begriff, war, dass dieser Junge ihr für ihren Geschmack zu nahe gekommen war.
Als Riven sich wieder aufrichtete und sein Gesicht ihr wieder so nahe kam sah Sera schwarz. Blitzschnell nutze sie die Hand, die noch immer in Rivens lag, packte ihn am Arm und warf ihn über ihr Hüfte hinter sich. Sein Widerstand war nur gering – er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich wehren würde, und deswegen flog er jetzt durch die Luft.
Mist!, dachte Sera, einen Bruchteil einer Sekunde nachdem sie ihn losgelassen hatte. Sie hatte ihn bestimmt verletzt. Das hatte sie nicht gewollt – das Ganze war eine reine Affekthandlung gewesen. Sie nutzte ihre Kampfkünste eigentlich nur selten und noch nie hatte sie sie gegen einen wehrlosen Gegner verwendet.
Sie drehte sich herum, um ihm aufzuhelfen und sich für ihre heftige Reaktion zu entschuldigen und bekam gerade noch mit, wie er sich in der Luft drehte und elegant zwei Meter hinter ihr auf seinen Füßen landete.
„Riven!“, schrien Karm und Kanon wie aus einem Munde und rannten zu ihm, um nach ihm zu sehen.
„Oh Gott, es tut mir leid“, rief auch Sera und rannte den Jungen hinterher um sich bei Riven zu entschuldigen. Sie war zwar beeindruckt, dass er sicher gelandet war, aber das änderte nichts daran, dass sie etwas falsch gemacht hatte.
Schnell war sie bei ihm und stand ihm direkt gegenüber.
„Hab ich dir weh getan? Oh Gott, dass wollte ich ehrlich nicht, du hast mich nur erschreckt!“, geriet sie immer mehr in Panik.
„Ist schon in Ordnung, Prinzessin, ich habe mich nicht verletzt“, gab Riven grinsend zur Antwort.
Wieder dieses Prinzessin! Sera hatte in ihrem ganzen Leben noch niemand Prinzessin genannt – und Gott wusste, dass sie alles andere als eine Prinzessin war!
Aber das war jetzt nicht so wichtig – wenn er sie um jeden Preis Prinzessin nennen wollte, dann sollte er ruhig! Aber was zählte, war die Sache mit dem Bruder.
„Warte! Die Beiden haben gesagt du seiest ihr Bruder, aber du sagst, du bist nicht ihr Bruder, musst aber auf sie aufpassen – was bist du jetzt?!“
„Ich bin… so was wie ihr Bodyguard“, gab er zur Antwort, immer noch mit diesem nervigen Grinsen auf den Lippen, „sie nennen mich nur Bruder, weil sie nicht verstehen, wofür ich da bin und es so einfacher für sie ist.“
Ein magischer Bodyguard also? Davon hatte Sera noch nie gehört.
„Wofür brauchen die beiden überhaupt einen Bodyguard? Sie müssten doch nur in der Schule bleiben und…“, setzte sie an, als ihr plötzlich etwas einfiel, „Warte! Wenn du ihr Bodyguard bist, ist das Ganze ja noch schlimmer! Wie kannst du sie alleine in der Stadt herumrennen lassen ohne sie überhaupt zu suchen?!“
Riven grinste immer noch so verdammt nervig, und jetzt näherte er sein Gesicht wieder dem von Sera.
„Mir wurde nie gesagt, dass ich immer neben ihnen stehen soll – nur dass ich auf sie aufpassen sollte. Und wie mir befohlen wurde, habe ich sie nicht aus den Augen verloren und hätte eingegriffen, wäre es notwendig gewesen. Apropos, Prinzessin, „Geht, solange ich es euch noch erlaube“? War das nicht etwas übertrieben? Obwohl ich zugeben muss, dass mir sogar diese Worte aus eurem Mund gefallen haben.“
Sera lief so rot an, wie man überhaupt rot anlaufen konnte.
Er war also die ganze Zeit über dort gewesen. Dann hatte er auf dem Ast wahrscheinlich auch gar nicht geschlafen, sondern nur so getan. Und… wieso hatte Sera seine Präsenz eigentlich nicht spüren können? Für gewöhnlich konnte sie die Präsenz eines jeden um sie herum spüren – sogar der Rektor entzog sich dieser Fähigkeit nicht. Aber dieser Junge war ihr zweimal entkommen. Und wenn sie es genau nahm, konnte sie seine Präsenz auch jetzt nicht spüren.
Was Sera jetzt aber viel wichtiger war, war die Tatsache, dass er sie belauscht hatte. Sie verspürte erneut den Drang ihm eine Ohrfeige zu verpassen – aber dieses Mal würde sie sich unter Kontrolle halten. Stattdessen ballte sie die Fäuste und senkte den Hochroten Kopf.
Plötzlich legten sich sanfte Finger auf ihr Kinn und hoben ihren Kopf erneut an.
„Das muss euch nicht peinlich sein, Prinzessin. Es zeigt nur wie stark Ihr seid“, flüsterte Riven Sera zu. Sein Gesicht war nur Millimeter von ihrem entfernt. Sera schaffte das Unmögliche und lief noch eine Nummer roter an.
„Hau ab!“, schrie sie, als sie ihm einen gut gezielten Kinnhacken verpasste und ihn fliegen schickte.
Nicht schon wieder! Wie konnte sie zweimal und noch dazu so kurz hintereinander die Kontrolle verlieren? Sera machte sich ernsthaft sorgen – wieso konnte dieser Junge sie so einfach reizen? Jetzt musste sie sich wieder entschuldigen. Dafür hatte sie ihn dieses Mal aber wenigstens auch richtig erwischt.
Doch Riven flog nicht einfach auf den Rücken, nein, stattdessen legte er einen Rückwärtssalto hin und landete genauso elegant wie zuvor auf seinen Füßen. Wie sportlich war er eigentlich?
„Entschuldigung“, murmelte Sera, diesmal nicht einmal ansatzweise so reuevoll wie beim ersten Mal. Sie war immer noch wütend und genauso rot wie bevor und sah dieses Mal ernsthaft keinen Grund sich zu entschuldigen, allerdings sagte ihr Verstand, dass man sich entschuldigen musste, wenn man jemanden schlug. Nur deshalb entschuldigte sie sich überhaupt.
Aber auf einmal zuckte Seras Kopf, den sie bis dahin absichtlich wieder gesenkt hatte, in die Höhe. Diese Präsenz…
„SERAPHINA!“, brüllte Meister Conites hinter Sera ihren vollständigen Vornamen und kam durch das große Tor auf sie zugelaufen.
Meister Conites war ein schlanker Mann in seinen Vierzigern mit Halbglatze, Brille und spitzer Nase. Ein Magierlehrer wie aus dem Buche geschnitten. Und genau das war er – er unterrichtete die 16-jährigen, zu denen ja auch Sera zählte. Wegen ihm hatte Sera sich auch solche Sorgen gemacht, noch pünktlich zu sein. Und hier stand sie mit immer noch erhobener Faust vor einem Jungen, der mit seiner Kette gegen eine Regel verstieß, zwei kleinen Kindern, die zwar verwirrt dreinblickten, aber höchstwahrscheinlich ohne Erlaubnis die Schule verlassen hatten, und war puderrot. Nicht zu vergessen, dass sie mindestens eine Stunde zu spät war.
„Meister Conites!“, rief Sera erschrocken und straffte ihr Haltung auf der Stelle.
„Seraphina, was tust du hier?“, fragte Meister Conites sie, als er die Situation überblickt hatte.
„Das ist mein Fehler. Ich habe diese beiden hier aus den Augen verloren und die Prinzessin hat sie zurück gebracht“, stoppte Riven Sera, noch ehe sie ihren Satz beginnen konnte, indem er auf die Zwillinge zeigte.
Wieso log er?
Die Zwillinge, die wohl aus Seras und Rivens Unterhaltung heraus verstanden hatten, dass Riven mit „Prinzessin“ Sera meinte, nickten wie wild, als wollten sie Wahrheit dieses Satzes unterstreichen.
Wieder lief Sera rot an – wie konnte Riven sie so offen vor einem vollständig ausgebildeten Magier „Prinzessin“ nennen?
Sera hatte erwartet, dass diese Aussage Meister Conites nur noch mehr verwirren würde, doch stattdessen warf er einen entsetzten Blick auf die Zwillinge und dann auf Riven.
„Meister Kanon, Meister Karm! Und Lord Nalishian! Wann seid Ihr angekommen? Hattet ihr eine angenehme Reise? Ich hoffe doch, es gab keine Schwierigkeiten!“, rief Conites unterwürfig.
So hatte Sera ihn noch nie gesehen – der für gewöhnlich so erhabene und strenge Lehrer wurde klein und schwach in der Anwesenheit von Kanon, Karm und Lord Riven Nalishian? Und wieso hatte er Kanon und Karm „Meister“ genannt, obwohl sie noch am Anfang ihrer Ausbildung standen und er selbst ein Magier war? Wieso sprach er Riven nicht auf seine Kette an? Und wo war Rivens freche, unverschämte Art hin und wo kam dieses reife, erwachsene Verhalten her? Und jetzt fiel Sera auch wieder ein, dass Riven doch erst 16 war – wieso trug er schwarze Roben? Das war unmöglich!
Was soll das alles überhaupt?
Sera verstand die Welt nicht mehr.
„Meister Conites…“, fing sie ihre Frage an.
„Ach ja, Seraphina, du bist ja auch noch hier!“, rief Conites und sprang zerstreut zu ihr herum, fast als hätte er ihre Anwesenheit vollständig vergessen.
„Da du den jungen Meistern und Lord Nalishian geholfen hast, werde ich von einer Bestrafung absehen“, erklärte er, wieder etwas ruhiger und offensichtlich ganz in seinem Element, „Geh jetzt zum Wohnhaus der Novizen zurück!“
Sera begriff zwar nicht, was hier vor sich ging, und für gewöhnlich hätte sie genau das getan, was Conites von ihr verlangt hätte, aber dieses Mal nicht. Er war irgendwie geschwächt – nicht mehr so streng. Und Sera hatte guten Grund, diese Situation auszunutzen, auch wenn sie es nur ungern tat. Aber was sein muss, muss sein.
„Meister Conites, was ist jetzt eigentlich mit meinem Besuch bei meiner Mutter?“, fragte sie und schämte sich dafür, so etwas Hinterhältiges zu tun.
Conites, der sich eigentlich gerade wieder zu Riven hatte umdrehen wollen, wirbelte noch einmal herum – verschwunden war all seine Ruhe und seine Zerstreutheit war zurück gekehrt.
„Ja, natürlich“, fing er an, ganz offensichtlich darauf bedacht, Sera möglichst schnell los zu werden, um sich um Riven und die Zwillinge zu kümmern, „du kannst sie morgen nach dem Unterricht besuchen. Und jetzt geh bitte.“
Endlich!, dachte Sera und wäre Conites am liebsten vor lauter Dankbarkeit und Freude um den Hals gesprungen.
„Vielen Dank, Meister Conites, und gute Nacht“, sagte sie stattdessen ruhig und reserviert, allerdings lief sie vor lauter Glück rot an.
Dann wandte sie sich Riven und den Kindern zu – wie sollte sie sich von ihnen verabschieden? Sollte sie sie auch Meister und Lord nennen? Nein, das ergab für Sera keinen Sinn.
„Gute Nacht, Karm, Kanon. Passt auf euch auf und rennt nicht alleine herum!“, sagte sie und beugte sich zu den beiden hinab um ihre Haare zu verwuscheln.
„Gute Nacht, Sera!“, antworteten sie gleichzeitig und lachten ein unschuldiges Kinderlachen auf das Sera einfach mit einem Lächeln reagieren musste.
Dann richtete sie sich auf – was sollte sie zu Riven sagen? Am besten, sie machte das Ganze möglichst kurz und sah ihn nie wieder.
„Gute Nacht“, sagte sie einfach und sah ihm in die Augen – verdammt hübsche Augen, musste sie zugeben.
„Gute Nacht, Prinzessin“, antwortete Riven und verbeugte sich, so als wäre Sera wirklich eine Prinzessin, „Wir sehen uns hoffentlich wieder.“
War er nicht selbst ein Lord? Wieso verneigte er sich dann vor ihr? Und hoffte er wirklich auf ein Wiedersehen?
Sera lief erneut rot an, doch es war schon ein hellerer Ton.
Dann drehte, sie sich ohne ein weiteres Wort zu sagen um und schritt schnell aus. Kaum war sie innerhalb der Mauern drehte sie sich herum und lief auf das Wohnhaus der Novizen zu. Sie musste noch trainieren, und wenn sie sich nicht irrte, hatte sie dafür gerade noch Zeit.
Das Wohnhaus der Novizen waren eigentlich eher zwei große, braune Gebäude aus Holz, die durch einen einzigen, schmalen Gang, der nur Glaswände besaß, verbunden waren. Das konnte man Geschlechtertrennung nennen.
Jeder Teil des Gebäudes besaß Baderäume, Schlafzimmer, in den meistens um die 10 Leute unterkamen, ein Schwimmbad, eine Sauna und einen Dojo. Und auf genau diesen Dojo im teil der Mädchen lief Sera zu.
Es gab zu diesem Dojo einen besonderen Eingang, der direkt von außerhalb in die Umkleideräume führte. Allerdings hatten nur wenige Schüler einen Schlüssel zu diesem Raum. Sera zählte zu diesen wenigen Schülern und so eilte sie jetzt durch die Bäume, die neben dem Wohnhaus standen, bis sie schließlich an der Tür ankam.
Vie es an dieser Schule zu erwarten war, war der Schlüssel natürlich kein einfaches Stück Metall und die Tür keine normale Tür. Wenn jemand sie suchen würde, könnte er sie nicht finden, da sie sich perfekt an die Außenwand des Wohnhauses anpasste. Aber Sera wusste ganz genau wo sie lag und so sprach sie, als sie an dieser Stelle angekommen war, schnell eine Zauberformel um sie zu öffnen.
Die Wand klappte einfach auf und erlaubte den Blick auf eine Umkleidekabine. Schnell sprang Sera hinein und die Tür klappte hinter ihr wieder zu.
Sera musste sich beeilen – sie hatte nicht mehr viel Zeit um noch als pünktlich zu gelten. Sie riss sich die Klamotten förmlich vom Leib und sprang gerade zu in ihren Kampfsortaufzug, der simpel und weiß war – er erinnerte stark an einen Karateanzug, war aber keiner.
Als sie fertig war, riss sie eine normale Tür auf und stürmte gerade zu in den Dojo, der eigentlich nur ein großer Raum aus Holz mit Parkettboden war.
Hier warteten schon ein paar Mädchen und trainierten miteinander, während ihr Lehrer, ein großer, muskulöser Mann mit schwarzen, kurzen Haaren um die dreißig daneben stand, ihnen zusah und hin und wieder irgendwelche Anweisungen dazwischen ruf.
„Direktor Ralion“, begrüßte Sera ihn.
Der Direktor mochte als mächtigster Magier gelten, doch er war eigentlich ein recht simpler und freundlich Mann, der zwar auch seine erwachsene Reife Seite hatte, aber auch sehr kindlich und wie ein Trunkenbold erscheinen konnte.
„Sera. Du bist spät.“
Das war seine ernste Seite. Er hatte sich zu ihr umgewendet und betrachtete sie mit verschränkten Armen.
„Es tut mir leid. Ich wurde aufgehalten“, antwortete Sera wahrheitsgetreu.
„Schon gut“, sagte der Direktor und lächelte sie an, „dafür sollten wir dein Training aber sofort beginnen.
„Ja“, antwortete Sera und nahm Kampfstellung ein.
Sie war im Kampsport sehr gut ausgebildet und keine ihrer Mitschülerinnen konnte mit ihr mithalten, weswegen sie immer gegen den Direktor antrat, wenn es zum direkten Training kam. Und das war heute ihre Aufgabe.
Natürlich war der Direktor auch sehr gut, um es genau zu nehmen besser als Sera, aber sie schaffte es jedes Mal aufs Neue ihm einen guten Kampf hinzulegen. Doch nicht heute.
Meister Karm und Meister Kanon, während sie versuchte den Direktor mit einem seitlichen Tritt zu erwischen, unter dem er sich einfach hinweg duckte und ihr Bein ergriff.
Wer sind die beiden?, fragte sie sich innerlich als sie ihr Bein nach unten bewegte um ihm einen direkten Treffer auf den Kopf zu verpassen.
Und Riven ist ein Lord?, fragte sie sich, als der Direktor sich unter ihrem Tritt davon kugelte.
Was für ein toller Lord!, wurde sie wütend, während sie dem Direktor mit einem schlag hinterher hechtete.
Wie kann er ein Lord sein?, zweifelte sie wieder, als der Direktor ihren Arm ergriff und sie auf den Boden warf.
Und wenn er ein Lord ist, wieso ist er ein Bodyguard?, versuchte sie die Situation zu begreifen, während sie dem Direktor einen direkten Tritt von unten ins Gesicht verpasste, der sein Ziel nicht verfehlte.
Hat er mich belogen?!, zürnte sie, während der Direktor, der sich schnell erholt hatte, ihren linken Arm ergriff und auf ihren Rücken drehte.
Dieser…!!!!, tobte Sera schließlich und warf den Direktor mit exakt dem gleichen Überwurf auf den Rücken, wie sie es zuvor mit Riven gemacht hatte. Und genau wie Riven landete er auf den Füßen.
Seras Kopf war wieder hochrot und sie schien vor Wut nur so zu kochen.
„Sera, du bist nicht bei der Sache“, unterbrach der Direktor ihre Gedanken, die verrückt zu werden schienen.
„Entschuldigung!“, rief Sera als sie begriff, dass sie sich überhaupt nicht konzentriert hatte, „ich habe an etwas völlig anderes gedacht.“
Die Direktor sah sie besorgt an: „Ich glaube, haute hat es keinen Sinn, wenn du trainierst. Wir setzen das Ganze morgen fort.“
„Ah, tut mir leid, aber morgen kann ich nicht. Meister Conites hat mir die Erlaubnis erteilt, meine Mutter zu besuchen“, fiel es Sera wieder ein und sie war im Begriff sich erneut zu entschuldigen.
„Ach, deine Mutter!“, sagte der Direktor mit einem mitleidigen Lächeln auf den Lippen, „Wieso hast du nicht einfach mich um Erlaubnis gebeten?“
„Ich könnte die Tatsache, dass ich sie kenne nicht so einfach ausnutzen. Anderen Schülern ist das schließlich auch nicht möglich“, antwortete Sera ehrlich. Sie war immer darauf bedacht, fair mit allen umzugehen und niemanden zurückstecken zu lassen.
Der Direktor und sie standen sich jetzt gegenüber.
„Haha1“, lachte der Direktor, „das passt zu dir! Aber geh jetzt besser. Heute kann man mit dir nichts anfangen!“
„Gut, Direktor Ralion“, antwortete Sera und wandte sich ab.
Wer hätte gedacht, dass sie den Umkleideraum schon so bald wieder betreten würde?
Es war ihr sehr peinlich, dass ausgerechnet Riven sie so hatte ablenken können! Aber das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern.
Seufzend zog sich Sera erneut um und ging – dieses Mal durch das Gebäude, das überall so ziemlich gleich aussah – zu den Baderäumen.
Hier waren magische Duschen aufgestellt, die Sera einfach liebte. Nichts war schöner als das Gefühl von warmen Wasser, das über ihre Haut lief.
Als sie fertig war, warf sie sich in ihr Nachthemd und ging in ihren Schlafsaal. Die meisten Mädchen rannten noch im Gebäude herum, doch Sera hielt sich an die Regel und lag pünktlich im Bett.
Schließlich war sie im Gegensatz zu den anderen Schülern nicht aus einem reichen Haus, sondern nur ein Gossen-Kind, dass all diesen Luxus mehr als nur zu schätzen wusste. Sie war wohl die einzige, die das alles nicht als selbstverständlich ansah.
Dieser Riven war bestimmt auch nur einer dieser verwöhnten Bengel, die ihre Kindheit noch nicht hinter sich gelassen hatten, da war sich Sera sicher. Aber war da nicht etwas in seinen Augen gewesen, das eher nach einem anderen Charakter aussah? Sera wusste es nicht. Aber wenn sie ehrlich war, interessierte es sie sehr.

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Name?!
Hier eine Geschichte, die ich noch nicht so lange schreibe. Ehrlich gesagt bin ich mit ihr noch nicht sehr weit, aber sie ist mir jetzt schon peinlich - und ich liebe sie auch schon. Allerdings hat sie dasselbe Problem wie viele meiner anderen Geschichten auch - mir fällt kein Name für sie ein. Für's erste ist er "Fernweh", womit ich wirklich nicht zufrieden bin. Also bin ich für Vorschläge natürlich immer offen :)

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