Geschichten einer schwarzen Rose
Fernweh - Kapitel 1
Sera hatte nicht vor gehabt so lange auf dem Markt zu bleiben. Sie hatte eigentlich schon nach wenigen Stunden zurück sein wollen, um durch ihre Überpünktlichkeit zu glänzen und alle zu beeindrucken, indem sie den ganzen Verlockungen der Stadt entsagte. Schließlich mussten ihr die Leute um sie herum, vor allem die Lehrer, vertrauen, sonst hatte sie keine Chance, bald ihre Mutter besuchen zu dürfen.
Verärgert eilte sie durch die Straßen der Stadt, in der Hoffnung, vielleicht doch noch vor den meisten Anderen anzukommen. Oder wenigstens rechtzeitig. Sie hatte sich auf dem Markt verloren, als all die bunten Stände um sie herum aufgetaucht waren und diese Leute in den albernen Aufmachungen ihr dies und das angeboten hatten. Doch wirklich angefangen ihre Zeit zu verschwenden hatte sie erst, als sie ein armes Kind, vermutlich ein Gossen-Kind, wie Seras Mitschüler sie nannten, entdeckt hatte. Das arme Ding hatte Lumpen getragen und war ganz abgemagert gewesen. Es hatte den Apfel, den Sera sich wenige Sekunden zuvor gekauft hatte mit sehnsüchtigen Augen angestarrt. Es hatte Sera an sie selbst erinnert, dieses hungrige Kind, dessen Geschlecht sie unter den Lumpen nicht hatte erkennen können. An sie, bevor ihre Mutter sie aufnahm und in die „Schule“ steckte. Sie hatte ihm den Apfel geben wollen. Doch kaum hatte sie eine Bewegung auf es zu gemacht, hatte es die Flucht ergriffen, in panischer Angst. Sie hatte den Apfel dann auf den Boden gelegt. Ihr war der Appetit vergangen. Sie wollte wirklich nicht wissen, was man schon mit diesem armen kleinen Kind gemacht hatte, dass eine einzige Bewegung von ihr es so erschreckte.
Seufzend beschleunigte Sera ihre Schritte. Langsam senkte sich ein tiefer Schatten über die Stadt und sie wollte auf keinen Fall von der Dunkelheit überrascht werden. Einerseits, weil sie dann großen Ärger bekommen würde, andererseits, hätte sie dann keinerlei Chance mehr ihre Mutter zu besuchen. Also besser schnell zurück zu den Wohneinrichtungen der „Schule“.
„Sieh mal, Karm, hier wachsen tolle Blumen!“, rief eine Kinderstimme durch die Stille des Abends.
Verwundert drehte Sera sich von der Straße weg und sah den leichten, mit Blumen und Gras überwachsenen Abhang neben ihr hinunter.
Dort unten spielten zwei kleine Jungen auf der Wiese. In ihren schneeweißen Roben sahen sie aus der Ferne wie zwei kleine Engel aus.
Sera schnappte laut nach Luft. Was machten zwei Jungen in weißen Roben hier? Sie müssten in der „Schule“ sein und üben! Nein, stattdessen brüllten sie hier herum und zeigten jedem, was sie waren!
Entsetzt blickte Sera sich um – waren schon irgendwo seltsame Gestalten in Sicht?
Um sie herum wirkte alles normal, doch sie konnte, ein paar Häuser weiter in einer schmalen Seitengasse, zwei Männer erspähen, die die Jungen verdächtig beäugten.
Sera kam es so vor, als befände sie sich in der schlimmstmöglichen Position. Sie hatte keine Ahnung was sie nun tun sollte. Es blieb keine Zeit, irgendjemanden zur Hilfe zu holen. Sie wusste nämlich sehr genau, was die beiden Männer mit den Jungen vorhatten. Sie wollten sie entführen und, für sehr viel Geld wahrscheinlich, an den Meistbietenden verkaufen. Denn auch wenn die beiden noch weiße Roben trugen hatten sie doch schon die ersten und, nach Seras Meinung, die schwersten und wichtigsten Schritte auf ihrem Weg zum Magier gemacht. Deshalb waren sie auch so einfache Opfer – sie besaßen schon Magie, was sie wertvoll machte, waren aber im Umgang damit noch so ungeübt, dass sie zu entführen kein großes Problem darstellte.
Sera wusste, dass es ihre Pflicht war zu handeln. Ihre Roben waren schon dunkelgrau. Jemand, der nicht genau hinsah, konnte es leicht für schwarz halten. Sie war stark genug die Männer schwer zu verletzen und zu vertreiben, doch dass würde ihr keine Pluspunkte einbringen. Sie hätte auch einfach weitergehen können und so tun, als hätte sie all das hier nicht gesehen. Das wäre wahrscheinlich der einfachste Weg, doch dann würde sie sich schlecht fühlen, weil es einfach falsch war. Sie musste etwas tun. Ihr kam eine Idee.
Plötzlich hustete sie laut und vernehmlich. Die Jungen schienen sie nicht zu bemerken, doch die Köpfe der beiden Männer fuhren wie Schnappschildkröten in die Höhe. Sera musste jetzt wirklich, wirklich cool wirken, was im Allgemeinen eigentlich nicht ihre Stärke war. Sie sah die Männer direkt an. Sie zuckten zusammen.
Aus der Ferne und im Dunkeln musste Sera wie eine voll ausgebildete Magierin erscheinen, die über ihre Schützlinge wachte. Die Männer taten einen Schritt zurück – sehr gut, Sera hatte sie fast – jetzt musste sie nur noch etwas Macht demonstrieren. Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es funktionieren möge. Dann stand sie aus dem nichts vor den beiden, wirklich übelriechenden Männern. Einer der beiden war so groß und mager, dass er als Vogelscheuche hätte durchgehen können. Der andere war kleiner, doch Sera bemerkte, das der Geruch von verfaulenden Zähnen von ihm ausging. Er zeigte sie ihr mit einem dümmlichen Lächeln. Sera hätte gern ihr Gesicht vor Abscheu verzogen – nicht weil ihre Erscheinung so abstoßend war, sondern weil sie ihr Vorhaben, zwei hilflosen Kindern wehzutun, so niederträchtig fand, dass sie sich hätte übergeben können. Doch das ging jetzt nicht. Stattdessen setzte sie ein möglichst kaltes und überlegenes Gesicht auf und blickte zwischen den Beiden hin und her. Sie machten ein paar Schritte zurück, doch noch rannten sie nicht. Sera würde noch einen drauf legen müssen.
„Geht, solange ich es euch noch erlaube“, sagte sie mit aller Autorität, die sie aufzubieten vermochte, was nun wirklich nicht viel war.
Doch die beiden Männer wurden starr vor Entsetzen und dann nahmen sie, endlich, die Beine in die Hand und rannten, als ginge es um ihr Leben.
Als sie um die nächste Ecke gebogen waren seufzte Sera erleichtert auf. Geht, solange ich es euch noch erlaube – von so etwas absolut übertrieben melodramatischen hatten sie sich einschüchtern lassen. Sera und die beiden Jungen hatten Glück gehabt. Es waren nur zwei Kleinkriminelle gewesen, die die Chance der Stunde nutzen wollten. Niemand von der Organisation.
„Hey, ihr beiden da!“, rief Sera. Jetzt hörte sie sich wieder wie die echte Sera an. Das gutherzige, selbstlose, sture und zugleich kluge Mädchen, das sein Leben lang alles getan hatte um zu überleben, bis ihre Mutter kam, und Sera sich ein neues Ziel setzen musste. Nämlich ihre Mutter glücklich zu machen. Sie klang wie ein Mensch, der sich nie etwas gefallen lies, und wenn es noch so unvernünftig war sich zu wehren. Sie klang wie ein Mensch, der nicht wusste, wann es Zeit war, an sich selbst zu denken. Sie klang wie ein Mensch, der stark war.
Dabei sah sie nicht wirklich so aus. Ihr Gesicht war herzförmig, ihre Augen dunkelgrün und ihre Lippen voll. Auch wenn Sera sich selbst ganz anders sah – sie hielt sich für dürr, verschroben und hässlich. Eigentlich war sie dünn und sportlich – sehr sportlich sogar. Sie hatte, seit sie klein war, Kampfsportarten trainiert und war stolz auf ihre Fähigkeiten, die allerdings von ihren Haaren behindert wurden. Seras Haare waren lang und blond – sie waren sogar so lang, dass sie sie sich zu einem langen Pferdeschwanz hochbinden musste, damit sie ihr nicht bis zur Hüfte reichten. So brav und gehorsam Sera auch war, hatte sie sich die Haare doch nicht den Schulregeln gemäß, schulterlang geschnitten. Ihr Haar war für sie ein wertvolles Erinnerungsstück, und wenn es sie noch so sehr beim Kampf hinderte. Und wenn es ihr noch so viel Energie, die sie eigentlich für das Zaubern benötigte, entzog. Denn es war Seras einzige Erinnerung an ihre wahre Mutter. Als sie kleiner war, sehr viel kleiner, so klein, dass sie sich kaum noch an diese Zeit erinnern konnte, war ihre Mutter schwer krank geworden. Ihr Vater war abgehauen, als Seras Mutter schwanger wurde und so hatte sie sich allein um sich selbst und ihr kleines Kind kümmern müssen. Sie hatte jeden Tag viele Stunden lang gearbeitet um Sera halbwegs anständige Lebensumstände zu ermöglichen. Und jeden Abend, wenn die beiden im Bett lagen, fuhr sie Sera durchs Haar und sagte:
„Schatz, du hast so schöne Haare. Sie sind weich und glänzend. Eines Tages werden dich alle für diese Haare beneiden. Bitte versprich mir, dass du sie dir nie abschneiden wirst. Und immer wenn du sie kämmst, musst du an mich denken, versprochen?
Sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte, wenn sie so weitermachte. Aber es war ihr egal gewesen. Sie wollte Sera so lange bei sich behalten, wie es nur ging. Sie dachte nicht daran sie wegzugeben. Und immer wenn ihre neue Mutter das erwähnte und über Seras unvernünftige Mutter schimpfte, musste Sera sich auf die Lippen beißen, um die Stärke und den Mut ihrer echten Mutter nicht lauthals zu loben.
„Wer bist du?“, fragte sie einer der kleinen Jungen verwundert und etwas nervös. Vielleicht hatte ihm ja doch jemand erzählt, wie gefährlich es für ihn war sich einfach so draußen rumzutreiben.
„Ich bin Sera“, antwortete sie freundlich. Sera konnte gut mit Kindern umgehen – sie liebte sie und sie liebten Sera. Nun hob sie ihre Robe mit zwei Fingern an, „Siehst du? Ich bin von derselben Schule wie ihr.“
Der Junge schien sich etwas zu entspannen. Der andere hatte eben erst angefangen zuzuhören, und bekam gerade noch mit, dass Sera eine Schulkameradin war. Er schien sie deshalb für keine Gefahr zu halten und jagte fröhlich einem Schmetterling hinterher.
„Was tut ihr beiden denn hier?“, wollte Sera wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie die beiden kleinen Kinder aus der Schule hätten entkommen sollen.
„Ach, unser Bruder hat uns mit in die Stadt genommen und dann haben wir ihn verloren“, erzählte der Junge übermütig.
„Euer Bruder, wie? Wie alt ist er denn?“, fragte Sera neugierig. Sie musste wissen, ob es ein erwachsener Magier, vielleicht sogar ein Lehrer war, oder ein Schüler. Sie wusste, dass Kinder in Begleitung von Magiern, die stark genug waren, um sich zu verteidigen, die Schule hin und wieder verlassen durften. Sera hätte als solcher Magier gegolten, aber nur sehr knapp.
„Er ist 16“, antwortete der kleine Junge ohne zu zögern.
16?! Das war Seras Alter. Sie wusste, dass der Junge definitiv kein ausgebildeter Magier sein konnte, da die Ausbildung immer erst mit 17 abgeschlossen wurde, weil sich in diesem Alter die magischen Kräfte vollständig entwickelten.
„Ich bin auch 16“, sagte sie und lächelte den kleinen Jungen an, „Aber wollen wir nicht lieber zusammen zur Schule zurück gehen? Euer Bruder wird den Weg ja kennen und dann könnt ihr ihn da wieder treffen.“
Der kleine Junge zog seine Stirn in Falten und schien schwer nachzudenken, was schon ziemlich süß aussah.
„Wie heißt ihr überhaupt?“, fragte Sera um den jungen dazu zu bringen, ihr zu vertrauen.
„Ich bin Kanon und das ist Karm“, gab er zur Antwort und schien einen Entschluss zu fassen.
„Karm, wir gehen mit Sera zur Schule zurück“, sagte er bestimmt. Er war ganz offensichtlich mehr zum Anführer geboren als sein unvorsichtiger, aber sehr simple Bruder.
Als Karm angerannt kam und sich neben seinen Bruder stellte, fiel Sera auf, dass sie Zwillinge waren. Beide hatten braune Haare und Augen, glatte helle Haut und niedliche Stupsnasen. Nur ihr Gesichtsaustrug schien sie zu unterscheiden – Karm war fröhlich und gedankenlos, während Kanon ernster schien. Wenn sie älter waren würde man sie sehr einfach auseinander halten können.
„Hey, ich bin Sera“, stellte sich Sera Karm vor, da sie wusste, dass der Junge nicht aufgepasst hatte, „und du bist Karm, stimmt's?“
„Ja, stimmt“, antwortete der Junge mit einem fröhlichen Lächeln und begann um sie herum hüpfen: „Wo ist denn Riven?“
„Riven? Ist das euer Bruder?“, fragte Sera und Kanon nickte.
„Der ist wahrscheinlich im Moment auf der Suche nach euch. Aber wenn er euch nicht finden kann, wird er bestimmt zur Schule zurück kommen, um euch als vermisst zu melden und dann seit ihr schon wieder da, okay?“, erklärte Sera sanft und die Jungen schienen zu verstehen.
„Dann lasst uns gehen“, fügte sie hinzu, stellte sich gerade hin und wollte gerade einen Schritt nach vorne machen, als die beiden Jungen, zu ihrer großen Überraschung, ihre Hände ergriffen – an jeder Seite einer.
Als die kleinen Hände sanft, schüchtern und ängstlich ihre ergriffen, wurde Sera klar, dass die beiden sich schrecklich gefürchtet haben mussten. Sie waren schließlich ganz allein gewesen.
Zärtlich erwiderte sie den Händedruck und ging mit den beiden los.
Sera hatte sich zuvor den Hügel hinunter teleportiert, was bedeutete, dass sie jetzt einen etwas längeren Umweg nehmen mussten, da Sera nicht noch einmal unerlaubt Magie einsetzen wollte um sich mit den Jungen wieder hoch zu porten und ihnen andererseits nicht den Aufstieg zumuten konnte. Zu spät würden sie sowieso kommen – da zählten fünf Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr.
Und so gingen sie durch die Stadt, die mit schönen, mittelalterlichen, größtenteils weißen Häusern ausgestattet war. Die Straßen waren einfach und sauber, was bewies, dass der größte Anteil der Bürger sehr reich war. Natürlich lebten hier keine Gossen-Kinder.
Bestimmt schritt Sera aus, als sie sich der Schule näherten. Sie straffte ihre Schultern und machte sich bereit, ausgeschimpft zu werden.
Die Schule bestand aus einem großen, grauen Hauptgebäude, das sechs Stockwerke besaß und innen nach einem komplizierten, spiralförmigen System aufgebaut war, einem Garten und überhaupt sehr vielen Wiesen, einem Quartier für die Magier, in dem jeder vollständig ausgebildete Magier wohnen konnte, wenn er wollte, der Villa des Direktors der Schule, die im tiefsten Schwarz gestrichen war um zu zeigen, dass der Direktor der stärkste aller Magier war, dem Wohnhaus der Novizen, dass innerhalb nach Geschlechtern aufgetrennt war und dem Friedhof der Magier. Das Alles war von einer großen, magischen Mauer aus Stein umgeben, an der mehrere Kirschbäume wuchsen.
Es gab nur einen Eingang, ein breites, stählernes Tor, und auf genau dieses gingen Sera und die Zwillinge jetzt zu.
Sera hatte den ganzen Weg über immer darauf geachtet, ob sie irgendjemand beobachtete – Magier, die zwei schwache und hilflose Zwerge herumführten, die ihnen bei einem Kampf nur im Weg herum stehen würden, waren leichte Beute. Und die Tatsache, dass die Schule immer näher kam, machte die Situation keineswegs sicherer, nein, sogar gefährlicher, denn vor der Schule lungerten immer ein, zwei Menschenhändler herum.
Als Sera und die beiden Kinder kaum noch zwei Meter vom Tor entfernt waren, und Sera langsam anfing sich zu entspannen, blieb Karm urplötzlich stehen.
Auf das schlimmste gefasst wirbelte Sera herum, wobei sie Kanons Hand losließ um jegliche Art von Angreifer sofort mit einer körperlichen Attacke außer Gefecht setzen zu können.
Doch da war niemand.
„Riven!“, rief Karm und zeigte nach oben auf einen der Kirschbäumen.
Verwirrt blickte Sera auf den Baum. Dort lag auf einem besonders breiten Ast, nahe der Baumkrone, ein Junge. Er trug eine Robe, die schwärzer war als jede andere Robe, die ich je gesehen hatte – auch al die des Schulleiters. Außerdem hing um seinen Hals eine silberne Kette mit einem eigenartigen, schlüsselartigen Zeichen, die auf dem schwarzen Stoff sehr hervorstach. Eigentlich war es verboten seine Roben besonders auszuschmücken. Er hatte schwarze, wirre Haare, zarte Lippen und eine schöne Nase. Oder so empfand es Sera zumindest. Seine Augenfarbe konnte sie nicht erkennen, denn seine Augen waren geschlossen – er schlief.
Auf einmal kochte Wut in Sera auf – er schlief während seine kleinen Brüder hilf- und wehrlos in der Stadt herumliefen?
„HEY!“, schrie sie, um ihn aufzuwecken, möglichst so, dass er vom Baum fiel.
Doch der Junge schlug seelenruhig die Augen auf und blickte auf sie herab, wie sie dort unten neben seinen kleinen Brüdern die begeistert seinen Namen riefen die Hände zu Fäusten ballte und sich wünschte, ihm eine reinzuhauen.
„Kanon. Karm“, stellte der Junge ruhig fest, dann warf er Sera einen Blick zu und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Sie wollte ihm gerade zurufen, dass er gefälligst von diesem elenden Baum herunterkommen solle, als er sich von selbst herunter schwang – er umfasste den Ast auf dem er saß einfach mit einer Hand und im nu war er unten, und stand verdammt nah vor Sera. Er beugte sein Gesicht immer weiter auf sie zu, so dass sie ihren Kopf zurückziehen musste, und schließlich einen Schritt zurück macht. Seine Augen waren schwarz – so schwarz wie seine Robe.
„Hast du die beiden zurück gebracht?“, fragte er.
Sera lief rot. Sie war es nicht gewohnt, das Gesicht eines Jungen so nah vor ihrem zu haben.
Doch dann kam wieder ihr Selbstbewusstsein zum Vorschein.
„Ja – und du solltest deine Brüder nicht allein in der Stadt lassen – es ist gefährlich!“, antwortete sie, immer noch wütend.
„Sie sind nicht meine Brüder“, gab Riven zur Antwort, „aber ich muss trotzdem auf sie aufpassen. Also vielen Dank, Prinzessin.“
Mit diesen Worten nahm er ihre Hand in sein und küsste sie.
Ein Kuss auf die Hand? Er war nicht ihr Bruder? Prinzessin?
Sera war mehr als verwirrt, aber was sie begriff, war, dass dieser Junge ihr für ihren Geschmack zu nahe gekommen war.
Als Riven sich wieder aufrichtete und sein Gesicht ihr wieder so nahe kam sah Sera schwarz. Blitzschnell nutze sie die Hand, die noch immer in Rivens lag, packte ihn am Arm und warf ihn über ihr Hüfte hinter sich. Sein Widerstand war nur gering – er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich wehren würde, und deswegen flog er jetzt durch die Luft.
Mist!, dachte Sera, einen Bruchteil einer Sekunde nachdem sie ihn losgelassen hatte. Sie hatte ihn bestimmt verletzt. Das hatte sie nicht gewollt – das Ganze war eine reine Affekthandlung gewesen. Sie nutzte ihre Kampfkünste eigentlich nur selten und noch nie hatte sie sie gegen einen wehrlosen Gegner verwendet.
Sie drehte sich herum, um ihm aufzuhelfen und sich für ihre heftige Reaktion zu entschuldigen und bekam gerade noch mit, wie er sich in der Luft drehte und elegant zwei Meter hinter ihr auf seinen Füßen landete.
„Riven!“, schrien Karm und Kanon wie aus einem Munde und rannten zu ihm, um nach ihm zu sehen.
„Oh Gott, es tut mir leid“, rief auch Sera und rannte den Jungen hinterher um sich bei Riven zu entschuldigen. Sie war zwar beeindruckt, dass er sicher gelandet war, aber das änderte nichts daran, dass sie etwas falsch gemacht hatte.
Schnell war sie bei ihm und stand ihm direkt gegenüber.
„Hab ich dir weh getan? Oh Gott, dass wollte ich ehrlich nicht, du hast mich nur erschreckt!“, geriet sie immer mehr in Panik.
„Ist schon in Ordnung, Prinzessin, ich habe mich nicht verletzt“, gab Riven grinsend zur Antwort.
Wieder dieses Prinzessin! Sera hatte in ihrem ganzen Leben noch niemand Prinzessin genannt – und Gott wusste, dass sie alles andere als eine Prinzessin war!
Aber das war jetzt nicht so wichtig – wenn er sie um jeden Preis Prinzessin nennen wollte, dann sollte er ruhig! Aber was zählte, war die Sache mit dem Bruder.
„Warte! Die Beiden haben gesagt du seiest ihr Bruder, aber du sagst, du bist nicht ihr Bruder, musst aber auf sie aufpassen – was bist du jetzt?!“
„Ich bin… so was wie ihr Bodyguard“, gab er zur Antwort, immer noch mit diesem nervigen Grinsen auf den Lippen, „sie nennen mich nur Bruder, weil sie nicht verstehen, wofür ich da bin und es so einfacher für sie ist.“
Ein magischer Bodyguard also? Davon hatte Sera noch nie gehört.
„Wofür brauchen die beiden überhaupt einen Bodyguard? Sie müssten doch nur in der Schule bleiben und…“, setzte sie an, als ihr plötzlich etwas einfiel, „Warte! Wenn du ihr Bodyguard bist, ist das Ganze ja noch schlimmer! Wie kannst du sie alleine in der Stadt herumrennen lassen ohne sie überhaupt zu suchen?!“
Riven grinste immer noch so verdammt nervig, und jetzt näherte er sein Gesicht wieder dem von Sera.
„Mir wurde nie gesagt, dass ich immer neben ihnen stehen soll – nur dass ich auf sie aufpassen sollte. Und wie mir befohlen wurde, habe ich sie nicht aus den Augen verloren und hätte eingegriffen, wäre es notwendig gewesen. Apropos, Prinzessin, „Geht, solange ich es euch noch erlaube“? War das nicht etwas übertrieben? Obwohl ich zugeben muss, dass mir sogar diese Worte aus eurem Mund gefallen haben.“
Sera lief so rot an, wie man überhaupt rot anlaufen konnte.
Er war also die ganze Zeit über dort gewesen. Dann hatte er auf dem Ast wahrscheinlich auch gar nicht geschlafen, sondern nur so getan. Und… wieso hatte Sera seine Präsenz eigentlich nicht spüren können? Für gewöhnlich konnte sie die Präsenz eines jeden um sie herum spüren – sogar der Rektor entzog sich dieser Fähigkeit nicht. Aber dieser Junge war ihr zweimal entkommen. Und wenn sie es genau nahm, konnte sie seine Präsenz auch jetzt nicht spüren.
Was Sera jetzt aber viel wichtiger war, war die Tatsache, dass er sie belauscht hatte. Sie verspürte erneut den Drang ihm eine Ohrfeige zu verpassen – aber dieses Mal würde sie sich unter Kontrolle halten. Stattdessen ballte sie die Fäuste und senkte den Hochroten Kopf.
Plötzlich legten sich sanfte Finger auf ihr Kinn und hoben ihren Kopf erneut an.
„Das muss euch nicht peinlich sein, Prinzessin. Es zeigt nur wie stark Ihr seid“, flüsterte Riven Sera zu. Sein Gesicht war nur Millimeter von ihrem entfernt. Sera schaffte das Unmögliche und lief noch eine Nummer roter an.
„Hau ab!“, schrie sie, als sie ihm einen gut gezielten Kinnhacken verpasste und ihn fliegen schickte.
Nicht schon wieder! Wie konnte sie zweimal und noch dazu so kurz hintereinander die Kontrolle verlieren? Sera machte sich ernsthaft sorgen – wieso konnte dieser Junge sie so einfach reizen? Jetzt musste sie sich wieder entschuldigen. Dafür hatte sie ihn dieses Mal aber wenigstens auch richtig erwischt.
Doch Riven flog nicht einfach auf den Rücken, nein, stattdessen legte er einen Rückwärtssalto hin und landete genauso elegant wie zuvor auf seinen Füßen. Wie sportlich war er eigentlich?
„Entschuldigung“, murmelte Sera, diesmal nicht einmal ansatzweise so reuevoll wie beim ersten Mal. Sie war immer noch wütend und genauso rot wie bevor und sah dieses Mal ernsthaft keinen Grund sich zu entschuldigen, allerdings sagte ihr Verstand, dass man sich entschuldigen musste, wenn man jemanden schlug. Nur deshalb entschuldigte sie sich überhaupt.
Aber auf einmal zuckte Seras Kopf, den sie bis dahin absichtlich wieder gesenkt hatte, in die Höhe. Diese Präsenz…
„SERAPHINA!“, brüllte Meister Conites hinter Sera ihren vollständigen Vornamen und kam durch das große Tor auf sie zugelaufen.
Meister Conites war ein schlanker Mann in seinen Vierzigern mit Halbglatze, Brille und spitzer Nase. Ein Magierlehrer wie aus dem Buche geschnitten. Und genau das war er – er unterrichtete die 16-jährigen, zu denen ja auch Sera zählte. Wegen ihm hatte Sera sich auch solche Sorgen gemacht, noch pünktlich zu sein. Und hier stand sie mit immer noch erhobener Faust vor einem Jungen, der mit seiner Kette gegen eine Regel verstieß, zwei kleinen Kindern, die zwar verwirrt dreinblickten, aber höchstwahrscheinlich ohne Erlaubnis die Schule verlassen hatten, und war puderrot. Nicht zu vergessen, dass sie mindestens eine Stunde zu spät war.
„Meister Conites!“, rief Sera erschrocken und straffte ihr Haltung auf der Stelle.
„Seraphina, was tust du hier?“, fragte Meister Conites sie, als er die Situation überblickt hatte.
„Das ist mein Fehler. Ich habe diese beiden hier aus den Augen verloren und die Prinzessin hat sie zurück gebracht“, stoppte Riven Sera, noch ehe sie ihren Satz beginnen konnte, indem er auf die Zwillinge zeigte.
Wieso log er?
Die Zwillinge, die wohl aus Seras und Rivens Unterhaltung heraus verstanden hatten, dass Riven mit „Prinzessin“ Sera meinte, nickten wie wild, als wollten sie Wahrheit dieses Satzes unterstreichen.
Wieder lief Sera rot an – wie konnte Riven sie so offen vor einem vollständig ausgebildeten Magier „Prinzessin“ nennen?
Sera hatte erwartet, dass diese Aussage Meister Conites nur noch mehr verwirren würde, doch stattdessen warf er einen entsetzten Blick auf die Zwillinge und dann auf Riven.
„Meister Kanon, Meister Karm! Und Lord Nalishian! Wann seid Ihr angekommen? Hattet ihr eine angenehme Reise? Ich hoffe doch, es gab keine Schwierigkeiten!“, rief Conites unterwürfig.
So hatte Sera ihn noch nie gesehen – der für gewöhnlich so erhabene und strenge Lehrer wurde klein und schwach in der Anwesenheit von Kanon, Karm und Lord Riven Nalishian? Und wieso hatte er Kanon und Karm „Meister“ genannt, obwohl sie noch am Anfang ihrer Ausbildung standen und er selbst ein Magier war? Wieso sprach er Riven nicht auf seine Kette an? Und wo war Rivens freche, unverschämte Art hin und wo kam dieses reife, erwachsene Verhalten her? Und jetzt fiel Sera auch wieder ein, dass Riven doch erst 16 war – wieso trug er schwarze Roben? Das war unmöglich!
Was soll das alles überhaupt?
Sera verstand die Welt nicht mehr.
„Meister Conites…“, fing sie ihre Frage an.
„Ach ja, Seraphina, du bist ja auch noch hier!“, rief Conites und sprang zerstreut zu ihr herum, fast als hätte er ihre Anwesenheit vollständig vergessen.
„Da du den jungen Meistern und Lord Nalishian geholfen hast, werde ich von einer Bestrafung absehen“, erklärte er, wieder etwas ruhiger und offensichtlich ganz in seinem Element, „Geh jetzt zum Wohnhaus der Novizen zurück!“
Sera begriff zwar nicht, was hier vor sich ging, und für gewöhnlich hätte sie genau das getan, was Conites von ihr verlangt hätte, aber dieses Mal nicht. Er war irgendwie geschwächt – nicht mehr so streng. Und Sera hatte guten Grund, diese Situation auszunutzen, auch wenn sie es nur ungern tat. Aber was sein muss, muss sein.
„Meister Conites, was ist jetzt eigentlich mit meinem Besuch bei meiner Mutter?“, fragte sie und schämte sich dafür, so etwas Hinterhältiges zu tun.
Conites, der sich eigentlich gerade wieder zu Riven hatte umdrehen wollen, wirbelte noch einmal herum – verschwunden war all seine Ruhe und seine Zerstreutheit war zurück gekehrt.
„Ja, natürlich“, fing er an, ganz offensichtlich darauf bedacht, Sera möglichst schnell los zu werden, um sich um Riven und die Zwillinge zu kümmern, „du kannst sie morgen nach dem Unterricht besuchen. Und jetzt geh bitte.“
Endlich!, dachte Sera und wäre Conites am liebsten vor lauter Dankbarkeit und Freude um den Hals gesprungen.
„Vielen Dank, Meister Conites, und gute Nacht“, sagte sie stattdessen ruhig und reserviert, allerdings lief sie vor lauter Glück rot an.
Dann wandte sie sich Riven und den Kindern zu – wie sollte sie sich von ihnen verabschieden? Sollte sie sie auch Meister und Lord nennen? Nein, das ergab für Sera keinen Sinn.
„Gute Nacht, Karm, Kanon. Passt auf euch auf und rennt nicht alleine herum!“, sagte sie und beugte sich zu den beiden hinab um ihre Haare zu verwuscheln.
„Gute Nacht, Sera!“, antworteten sie gleichzeitig und lachten ein unschuldiges Kinderlachen auf das Sera einfach mit einem Lächeln reagieren musste.
Dann richtete sie sich auf – was sollte sie zu Riven sagen? Am besten, sie machte das Ganze möglichst kurz und sah ihn nie wieder.
„Gute Nacht“, sagte sie einfach und sah ihm in die Augen – verdammt hübsche Augen, musste sie zugeben.
„Gute Nacht, Prinzessin“, antwortete Riven und verbeugte sich, so als wäre Sera wirklich eine Prinzessin, „Wir sehen uns hoffentlich wieder.“
War er nicht selbst ein Lord? Wieso verneigte er sich dann vor ihr? Und hoffte er wirklich auf ein Wiedersehen?
Sera lief erneut rot an, doch es war schon ein hellerer Ton.
Dann drehte, sie sich ohne ein weiteres Wort zu sagen um und schritt schnell aus. Kaum war sie innerhalb der Mauern drehte sie sich herum und lief auf das Wohnhaus der Novizen zu. Sie musste noch trainieren, und wenn sie sich nicht irrte, hatte sie dafür gerade noch Zeit.
Das Wohnhaus der Novizen waren eigentlich eher zwei große, braune Gebäude aus Holz, die durch einen einzigen, schmalen Gang, der nur Glaswände besaß, verbunden waren. Das konnte man Geschlechtertrennung nennen.
Jeder Teil des Gebäudes besaß Baderäume, Schlafzimmer, in den meistens um die 10 Leute unterkamen, ein Schwimmbad, eine Sauna und einen Dojo. Und auf genau diesen Dojo im teil der Mädchen lief Sera zu.
Es gab zu diesem Dojo einen besonderen Eingang, der direkt von außerhalb in die Umkleideräume führte. Allerdings hatten nur wenige Schüler einen Schlüssel zu diesem Raum. Sera zählte zu diesen wenigen Schülern und so eilte sie jetzt durch die Bäume, die neben dem Wohnhaus standen, bis sie schließlich an der Tür ankam.
Vie es an dieser Schule zu erwarten war, war der Schlüssel natürlich kein einfaches Stück Metall und die Tür keine normale Tür. Wenn jemand sie suchen würde, könnte er sie nicht finden, da sie sich perfekt an die Außenwand des Wohnhauses anpasste. Aber Sera wusste ganz genau wo sie lag und so sprach sie, als sie an dieser Stelle angekommen war, schnell eine Zauberformel um sie zu öffnen.
Die Wand klappte einfach auf und erlaubte den Blick auf eine Umkleidekabine. Schnell sprang Sera hinein und die Tür klappte hinter ihr wieder zu.
Sera musste sich beeilen – sie hatte nicht mehr viel Zeit um noch als pünktlich zu gelten. Sie riss sich die Klamotten förmlich vom Leib und sprang gerade zu in ihren Kampfsortaufzug, der simpel und weiß war – er erinnerte stark an einen Karateanzug, war aber keiner.
Als sie fertig war, riss sie eine normale Tür auf und stürmte gerade zu in den Dojo, der eigentlich nur ein großer Raum aus Holz mit Parkettboden war.
Hier warteten schon ein paar Mädchen und trainierten miteinander, während ihr Lehrer, ein großer, muskulöser Mann mit schwarzen, kurzen Haaren um die dreißig daneben stand, ihnen zusah und hin und wieder irgendwelche Anweisungen dazwischen ruf.
„Direktor Ralion“, begrüßte Sera ihn.
Der Direktor mochte als mächtigster Magier gelten, doch er war eigentlich ein recht simpler und freundlich Mann, der zwar auch seine erwachsene Reife Seite hatte, aber auch sehr kindlich und wie ein Trunkenbold erscheinen konnte.
„Sera. Du bist spät.“
Das war seine ernste Seite. Er hatte sich zu ihr umgewendet und betrachtete sie mit verschränkten Armen.
„Es tut mir leid. Ich wurde aufgehalten“, antwortete Sera wahrheitsgetreu.
„Schon gut“, sagte der Direktor und lächelte sie an, „dafür sollten wir dein Training aber sofort beginnen.
„Ja“, antwortete Sera und nahm Kampfstellung ein.
Sie war im Kampsport sehr gut ausgebildet und keine ihrer Mitschülerinnen konnte mit ihr mithalten, weswegen sie immer gegen den Direktor antrat, wenn es zum direkten Training kam. Und das war heute ihre Aufgabe.
Natürlich war der Direktor auch sehr gut, um es genau zu nehmen besser als Sera, aber sie schaffte es jedes Mal aufs Neue ihm einen guten Kampf hinzulegen. Doch nicht heute.
Meister Karm und Meister Kanon, während sie versuchte den Direktor mit einem seitlichen Tritt zu erwischen, unter dem er sich einfach hinweg duckte und ihr Bein ergriff.
Wer sind die beiden?, fragte sie sich innerlich als sie ihr Bein nach unten bewegte um ihm einen direkten Treffer auf den Kopf zu verpassen.
Und Riven ist ein Lord?, fragte sie sich, als der Direktor sich unter ihrem Tritt davon kugelte.
Was für ein toller Lord!, wurde sie wütend, während sie dem Direktor mit einem schlag hinterher hechtete.
Wie kann er ein Lord sein?, zweifelte sie wieder, als der Direktor ihren Arm ergriff und sie auf den Boden warf.
Und wenn er ein Lord ist, wieso ist er ein Bodyguard?, versuchte sie die Situation zu begreifen, während sie dem Direktor einen direkten Tritt von unten ins Gesicht verpasste, der sein Ziel nicht verfehlte.
Hat er mich belogen?!, zürnte sie, während der Direktor, der sich schnell erholt hatte, ihren linken Arm ergriff und auf ihren Rücken drehte.
Dieser…!!!!, tobte Sera schließlich und warf den Direktor mit exakt dem gleichen Überwurf auf den Rücken, wie sie es zuvor mit Riven gemacht hatte. Und genau wie Riven landete er auf den Füßen.
Seras Kopf war wieder hochrot und sie schien vor Wut nur so zu kochen.
„Sera, du bist nicht bei der Sache“, unterbrach der Direktor ihre Gedanken, die verrückt zu werden schienen.
„Entschuldigung!“, rief Sera als sie begriff, dass sie sich überhaupt nicht konzentriert hatte, „ich habe an etwas völlig anderes gedacht.“
Die Direktor sah sie besorgt an: „Ich glaube, haute hat es keinen Sinn, wenn du trainierst. Wir setzen das Ganze morgen fort.“
„Ah, tut mir leid, aber morgen kann ich nicht. Meister Conites hat mir die Erlaubnis erteilt, meine Mutter zu besuchen“, fiel es Sera wieder ein und sie war im Begriff sich erneut zu entschuldigen.
„Ach, deine Mutter!“, sagte der Direktor mit einem mitleidigen Lächeln auf den Lippen, „Wieso hast du nicht einfach mich um Erlaubnis gebeten?“
„Ich könnte die Tatsache, dass ich sie kenne nicht so einfach ausnutzen. Anderen Schülern ist das schließlich auch nicht möglich“, antwortete Sera ehrlich. Sie war immer darauf bedacht, fair mit allen umzugehen und niemanden zurückstecken zu lassen.
Der Direktor und sie standen sich jetzt gegenüber.
„Haha1“, lachte der Direktor, „das passt zu dir! Aber geh jetzt besser. Heute kann man mit dir nichts anfangen!“
„Gut, Direktor Ralion“, antwortete Sera und wandte sich ab.
Wer hätte gedacht, dass sie den Umkleideraum schon so bald wieder betreten würde?
Es war ihr sehr peinlich, dass ausgerechnet Riven sie so hatte ablenken können! Aber das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern.
Seufzend zog sich Sera erneut um und ging – dieses Mal durch das Gebäude, das überall so ziemlich gleich aussah – zu den Baderäumen.
Hier waren magische Duschen aufgestellt, die Sera einfach liebte. Nichts war schöner als das Gefühl von warmen Wasser, das über ihre Haut lief.
Als sie fertig war, warf sie sich in ihr Nachthemd und ging in ihren Schlafsaal. Die meisten Mädchen rannten noch im Gebäude herum, doch Sera hielt sich an die Regel und lag pünktlich im Bett.
Schließlich war sie im Gegensatz zu den anderen Schülern nicht aus einem reichen Haus, sondern nur ein Gossen-Kind, dass all diesen Luxus mehr als nur zu schätzen wusste. Sie war wohl die einzige, die das alles nicht als selbstverständlich ansah.
Dieser Riven war bestimmt auch nur einer dieser verwöhnten Bengel, die ihre Kindheit noch nicht hinter sich gelassen hatten, da war sich Sera sicher. Aber war da nicht etwas in seinen Augen gewesen, das eher nach einem anderen Charakter aussah? Sera wusste es nicht. Aber wenn sie ehrlich war, interessierte es sie sehr.

Gießen